Evolution, Zivilisation und Verschwendung
normal wie getrenntgeschlechtliche Lebewesen miteinander paaren (woraufhin beide Partner Eier legten), dann entspräche ein großer Schweif zwar weiterhin einer besonders hohen Fitness in Bezug auf den Lebensraum, wäre aber gleichzeitig – und zwar aus energetischen Gründen – mit einer geringeren Gelegegröße verbunden. Dies würde ihn für mögliche Sexualpartner weniger attraktiv machen (siehe dazu die Ausführungen im Abschnitt
Wozu gibt es Sexualität?
auf Seite → ).
Stellen wir uns für einen Moment vor, alle Menschen wären Hermaphroditen, die sich gelegentlich miteinander paaren.
Das Prinzip der natürlichen Auslese erklärt die biologische Evolution auf der Erde damit, dass besser angepasste Individuen einer Population durchschnittlich mehr Nachkommen hinterlassen als andere. Konkret hieße das in unserer Situation: Sozial erfolgreichere Hermaphroditen würden durchschnittlich mehr Kinder haben als weniger erfolgreiche.
Wir befänden uns also sofort in dem bekannten Dilemma der modernen, gleichberechtigten Frau: Wie kann ich im Beruf „meinen Mann stehen“ und daneben noch eine Familie gründen? Oder anders gesagt: Wie kann ich beide Aufgaben miteinander vereinbaren?
Aber nicht nur das: Das Prinzip der natürlichen Auslese verlangt ja noch viel mehr, und zwar das scheinbar Unmögliche: Ein beruflich ganz besonders erfolgreicher Hermaphrodit sollte in der Regel auch ganz besonders viele Kinder haben („Reproduktionserfolg korreliert mit sozialem/beruflichem Erfolg“), denn dann würde er seine Erfolgsmerkmale überproportionalhäufig an die nächste Generation weitergeben und damit zur Wahrung des Prinzips der Generationengerechtigkeit beitragen.
Soziobiologen gliedern den Lebensaufwand eines Individuums in die beiden Unterbereiche
somatischer Aufwand
und
Reproduktionsaufwand
, wobei ersterer primär dazu dient,
Reproduktionspotenzial
zu akkumulieren und letzterer dazu, dieses dann wieder zu verausgaben (Voland 2007: 84). Überträgt man dies auf moderne menschliche Gesellschaften, dann ließe sich sagen: Der Lebensaufwand eines Menschen gliedert sich in Beruf und Familie, wobei der Beruf primär dazu dient, Reproduktionspotenzial zu akkumulieren und die Familie dazu, dieses dann wieder zu verausgaben. Das Prinzip der natürlichen Auslese besagt dann zusätzlich noch: Individuen, die mehr Reproduktionspotenzial erlangen (mehr Einkommen erzielen, beruflich erfolgreicher sind etc.), hinterlassen im Durchschnitt mehr Nachkommen (haben im Mittel die größeren Familien).
Wir stellen somit fest:
Das Prinzip der natürlichen Auslese beinhaltet einen Konflikt, der darin besteht, zwei völlig unterschiedliche und gegeneinander um die gleichen zeitlichen Ressourcen konkurrierende Aufgaben gleichzeitig optimieren zu wollen. Die natürliche Selektion fordert nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern vielmehr deren gleichzeitige Optimierung: Wenn der Beruf gegen ein Optimum strebt, dann sollte Familie das – im statistischen Mittel – auch tun!
Sind die beiden Aufgabenbereiche
Produktion
und
Reproduktion
(
somatischer Aufwand
und
Reproduktionsaufwand
; übersetzt:
Beruf
und
Familie
) gleichermaßen mit hohen zeitlichen Aufwänden verbunden, so dürfte sich ein einziges Individuum damit schwer tun, beiden in gleicher Weise gerecht zu werden. Es handelt sich hierbei letztlich um einen Balanceakt zwischen zwei völlig unterschiedlichen, zeitaufwändigen Aufgaben. Aus diesem Grund wird in familienpolitischen Publikationen auch häufig von einer
Balance zwischen Familie und Beruf
(beziehungsweise im Englischen von einer
Work-Life-Balance
) gesprochen, siehe zum Beispiel (BMFSFJ 2007a). Das Prinzip der natürlichen Auslese kennt hier jedoch keine Balance, sondern es erwartet die gleichzeitige Optimierung beider Aufgabenbereiche, jedenfalls im statistischen Mittel und aus Sicht der gesamten Population.
Menschliche Gesellschaften unterscheiden sich aber von anderen biologischen Populationen noch in einigen wesentlichen Aspekten, die im vorliegenden Kontext bemerkenswerte Konsequenzen haben: Ein besonderseffizienter Hermaphrodit könnte ja in einer natürlichen Umgebung pro Zeiteinheit mehr Nahrung erlangen und dann auch mehr Nachkommen hinterlassen. Auf Dauer würde sich dabei ein Gleichgewichtszustand einstellen: Bekommt er zuviel Nachwuchs, kann er diesen nicht mehr ausreichend ernähren, so dass es einige oder alle Jungen nicht bis ins Fortpflanzungsalter schaffen. Seine Gene würden
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