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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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geschieht vor allem im Dienste anderer Individuen, nämlich der eigenen Nachkommen, wodurch sie gegebenenfalls sogar dem eigenen Selbsterhalt im Wege steht. Warum also sollte sich ein autonomes Lebewesen unbedingt fortpflanzen wollen? Gemäß Richard Dawkins kommt dafür nur eine Erklärung in Frage: Lebewesen sind Überlebensmaschinen der in ihnen wirkenden egoistischen Gene. Bei dem scheinbaren Fortpflanzungsaltruismus von Individuen handelt es sich folglich um den Egoismus von Genen, die möglichst lange fortbestehen möchten. Anders gesagt: Der Lebensaufwand eines Lebewesens mag sich zwar formal in Selbsterhalt und Reproduktionsaufwand und damit in einen Teil für sich und einen zweiten Teil für andere Individuen gliedern, doch dies täuscht lediglich, denn letztlich dient aller Reproduktionsaufwand nur dem Fortbestand der eigenen Gene, ist also aus Sicht der egoistischen Gene ebenfalls dem Selbsterhalt zuzurechnen.
    Nun behauptet aber Richard Dawkins, das Kulturwesen Mensch sei jetzt als erstes Lebewesen in der Lage, sich auch „im Großen“ gegen seine eigenen Gene aufzulehnen. Etwas verkürzt könnte man Richard Dawkins’ Argumentation wie folgt zusammenfassen: Egoistische Gene haben zum Zwecke ihres eigenen Überlebens sogenannte Überlebensmaschinen gebaut, die sich nun aber „im Großen“ über die Interessen ihrer Erbauer hinwegsetzen können, wodurch sie sie am Überleben hindern.
    Allerdings sieht Richard Dawkins für den modernen Menschen zwei alternative Strategien vor, sich in die Zukunft fortzupflanzen:
Kinder in die Welt zu setzen (Vererbung über Gene).
Kulturelle Verewigung (Vererbung über Meme).
    Dies begründet er wie folgt (Dawkins 2007: 331f.):
    Wenn wir einmal sterben, so können wir zwei Dinge hinterlassen: Gene und Meme. Wir sind als Genmaschinen konstruiert, dazu geschaffen, unsere Gene zu vererben. Aber dieser Aspekt von uns wird in drei Generationen vergessen sein. Mein Kind, sogar mein Enkel noch mag mir ähnlich sein, vielleicht in den Gesichtszügen, in einer musikalischen Begabung oder in der Haarfarbe. Aber mit jeder Generation, die vorbeigeht, wird der Beitrag der Gene halbiert. Es dauert nicht lange, und er ist so klein geworden, dass man ihn vernachlässigen kann. Unsere Gene mögen unsterblich sein, aber die Sammlung von Genen, die jeder Einzelne von uns darstellt, muss zwangsläufig auseinanderbröckeln. (…)
    Doch wenn ich einen Beitrag zur Kultur der Welt leiste, wenn ich einen guten Gedanken habe, eine Melodie komponiere, eine Zündkerze erfinde oder ein Gedicht schreibe, so kann dieser Beitrag noch lange, nachdem meine Gene sich im gemeinsamen Genpool aufgelöst haben, unversehrt weiterleben. Von Sokrates mögen heute (…) vielleicht noch ein oder zwei Gene auf der Welt leben oder auch nicht, aber wen interessiert das schon? Die Memkomplexe von Sokrates, Leonardo da Vinci, Kopernikus und Marconi sind immer noch ungeschwächt.
    Nun ist aber die Chance, einmal ein neuer Kopernikus zu werden, denkbar gering. Die allermeisten Menschen schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Schon bald nach ihrem Tod wird niemand mehr wissen, dass es sie überhaupt gegeben hat, insbesondere dann, wenn sie auch noch kinderlos geblieben sind, was heute aber – speziell in gebildeten Kreisen – gar nicht mal so selten ist.
    Man kann es drehen und wenden wie man will, die Dawkinschen Begründungen ergeben keinen Sinn: Unsere persönliche Sammlung an Genen verliert sich binnen ganz weniger Generationen, und auch kulturell – und sei es als Bestandteil irgendeines „Mems“ – werden die meisten von uns ganz schnell vergessen sein.
    Der Ansatz der
Systemischen Evolutionstheorie
ist demgegenüber viel plausibler: Lebewesen sind autonome Systeme mit eigenständigen Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungsinteressen, die sich selbsterhalten und fortpflanzen
wollen
. Entsprechende Verhaltensweisen haben sich evolutionär herausgebildet, denn andernfalls gäbe es die jeweiligen Populationen undSpezies längst nicht mehr. Dem Menschen ist als erstem Lebewesen die sichere Beherrschung des eigenen Fortpflanzungsinteresses gelungen, und zwar ohne dabei auf die angenehmen Gefühle beim Sex verzichten zu müssen. Prompt stellt sich für den modernen Menschen das jahrzehntelange Aufziehen von Kindern als das heraus, was es eigentlich ist: ein zusätzlicher Aufwand, der den eigenen Selbsterhalt erschwert, und den viele Menschen heute nicht mehr so ohne weiteres zu leisten bereit sind.
    Die

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