Evolution, Zivilisation und Verschwendung
folglich mit den entscheidenden Ergebnissen Norbert Elias’.
Auch ist die Systemische Evolutionstheorie ganz ähnlich wie Elias der Auffassung, dass gesellschaftlicher Wandel nicht isoliert vonstatten gehen kann. Stattdessen ist zu erwarten, dass sich Natur, Menschen, Gesellschaften, Organisationen und ihre Beziehungen zueinander gleichzeitig und in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander wandeln. Die psychogenen Veränderungen von Menschen im Rahmen des Prozesses der Zivilisation kommeninsbesondere in der seitens der Systemischen Evolutionstheorie behaupteten generellen Umstellung von dominanten Kommunikationsweisen auf die Gefallen-wollen-Kommunikation zum Ausdruck.
Die von Elias ausgemachte Entwicklung von der öffentlichen Kontrolle hin zur Selbstkontrolle lässt sich auch als ein Individualisierungsprozess gemäß Durkheim interpretieren: Aufgrund der Zunahme der Bevölkerungsdichte und der hierdurch verstärkten Konkurrenz um die gleichen Ressourcen kommt es zu einer verstärkten Arbeitsteilung, bei der sich das Individuum sukzessive von allen Kollektivaufgaben trennt (siehe dazu auch die Ausführungen im Abschnitt
Individualisierung
auf Seite → ), das heißt, es individualisiert. In der Folge unterliegt es immer weniger der öffentlichen Kontrolle, dafür aber umso mehr der Selbstkontrolle.
Schutz ist eine der klassischen männlichen Kollektivaufgaben. Im Rahmen der Individualisierung wurde sie an den Staat ausgelagert, der daraufhin das Gewaltmonopol innehatte. In der Konsequenz müssen sich die Bürger nun aus allen physischen Auseinandersetzungen heraushalten beziehungsweise sich affektiv zurückhalten, wodurch das Leben nun deutlich sicherer und damit zivilisierter wird. Wie man sieht, lassen sich viele gesellschaftliche Veränderungsprozesse aus unterschiedlichen Sichten betrachten. Viele Entwicklungsschritte greifen Hand in Hand mit anderen, und es ist nicht unmittelbar klar, welcher davon letztlich tonangebend ist.
Viele der von Elias angesprochenen Themen werden in den nächsten Abschnitten noch einmal dediziert aus Sicht der Systemischen Evolutionstheorie dargestellt.
6.1.9 James S. Coleman
James S. Coleman erklärt die Gesellschaft, inklusive Strukturbildung und Wandel, durch das Verhalten ihrer Bestandteile, den sogenannten Akteuren.
Er unterscheidet zwei Arten von Akteuren: Individuen und korporative Akteure. Letztere sind größere soziale Systeme wie Organisationen (zum Beispiel Unternehmen, Gewerkschaften), aber auch Staaten (Gesellschaften) und sonstige nichtstaatliche Organisationen. In seinem Konzept werden beide Arten von Akteuren prinzipiell gleich behandelt, allerdings konstatiert er ein Machtungleichgewicht zu Ungunsten der Individuen aufgrund von unterschiedlichen Ressourcen.
Handlungstheoretisch baut sein Konzept auf der bereits erläuterten RationalChoice-Theorie des rationalen kostenminimierenden bzw. nutzenmaximierenden Akteurs auf. Diesen Ansatz erweitert er allerdings um den Einbezug einer Makroebene und um weitere Tauschmöglichkeiten für die Akteure. Diese tauschen nämlich gemäß Coleman nicht nur Güter und Dienstleistungen untereinander aus, sondern vor allem auch Handlungs- und Kontrollrechte.
Zentraler Bestandteil seiner Theorie ist sein Modell des Makro-MikroMakro-Schemas, welches auch als Colemansche Badewanne bezeichnet wird und die Wirkung von gesellschaftlichen Phänomenen (Makro) auf das Verhalten der Akteure (Mikro) und von dort aus wieder zurück auf die Gesellschaft (Makro) erklären soll: Ein Makrophänomen m1 bedingt ein anderes Makrophänomen m2, indem es zuerst auf die Akteure "wirkt" und die Randbedingungen setzt, an denen diese ihre Handlungen ausrichten. Es kommt darauf zu den tatsächlichen Handlungen von Akteuren, die sich dann in der Summe wieder zu einem neuen Makrophänomen zusammensetzen.
Das Colemansche Modell weist viele Ähnlichkeiten zum Ansatz der
Systemischen Evolutionstheorie
auf, denn auch bei Letzterer gliedern sich soziale Systeme analog in Akteure, die selbst soziale Systeme oder aber Individuen sein können. Allerdings unterscheidet sich die Systemische Evolutionstheorie vom Colemanschen Ansatz im grundlegenden systemtheoretischen Verständnis: Ist eine Organisation erst einmal zustande gekommen, besitzt sie eine eigene Identität und ein eigenständiges Selbsterhaltungsinteresse, welches sich nicht einfach nur auf die Handlungen der in ihr operierenden Akteure zurückführen lässt: Es bekommt dann ein Eigenleben. Ohne die
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