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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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Annahme solcher Systemeigenschaften müsste man in Colemans MakroMikro-Makro-Modell alle Ebenen durchlaufen. Setzte sich beispielsweise ein Akteur aus weiteren Akteuren zusammen und diese ebenso, dann ließe sich das Verhalten des Top-Akteurs nur durch ein Durchschreiten aller Hierarchieebenen bis hin zu den Individuen – mit gegebenenfalls sehr vielen ineinander verschachtelten Badewannen –, erklären.
    Ich möchte hier nicht die Modellierung von Beziehungen zwischen Mikround Makroebenen als unbedeutend hinstellen. Auch in der Biologie untersucht man ja, wie Perturbationen im Organismus wirken und gegebenenfalls noch auf Zellebene Reaktionen hinterlassen. Für ein Verständnis des sozialen Wandels aus evolutionärer Sicht sind solche Detailanalysen jedoch zunächst einmal sekundär.
6.1.10 Walter G. Runciman
    Walter G. Runciman unterscheidet drei verschiedene Evolutionen: die biologische, kulturelle und soziale Evolution, für die er jeweils unterschiedliche Replikatoren und Reproduktionsmechanismen vorsieht. Bei der biologischen Evolution stützt er sich dabei auf die Lehre Darwins.
    Bei der Formulierung seiner Theorie der kulturellen Evolution knüpft er an den Mem-Gedanken Richard Dawkins’ an. Neben den Memen als Replikator übernimmt Runciman auch die Idee, dass es sich bei ihren Trägern um Gehirne oder psychische Bewusstsein handelt. Die Replikation erfolgt durch die Weitergabe der Meme von einem Bewusstsein zu einem anderen mittels Imitation und Lernen, so dass der Sozialisation eine große Bedeutung zukommt.
    Mutationen und Rekombinationen von Memen werden durch Kopierfehler bei der Weitergabe einerseits, andererseits durch aktive Reinterpretation, also auch durch bewusstes und intentionales Handeln ermöglicht. Die intentionalen Veränderungsmöglichkeiten sind aber nicht der einzige Grund für die Erhöhung der Häufigkeit der Mutationen und Rekombinationen im Vergleich zur natürlichen Auslese. Auch die nahezu unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten von Memen aus verschiedenen Traditionslinien tragen dazu maßgeblich bei. Der dritte große Unterschied gegenüber der biologischen Evolution liegt in der Unabhängigkeit von Träger und Mutations- oder Rekombinationshäufigkeiten: Die Verhaltensstrategien eines Bewusstseins sind variabel, so dass Veränderungen nicht nur beim Auftreten eines neuen Trägers möglich werden (Schmidt-Wellenburg 2005: 74).
    Gemäß Runciman stehen die Träger der Meme – die psychischen Bewusstsein – in einem Wettbewerb um psychische Gratifikationen. Dabei stellt das kulturelle System die möglichen Mittel zur Erfüllung der Gratifikationserwartungen bereit (Schmidt-Wellenburg 2005: 74).
    Bei der sozialen Evolution sollen „Praktiken“ die Evolutionsreplikatoren sein. Praktiken können als Blaupausen für das Verhalten bezeichnet werden, sie leiten es jedoch nur zeitlich und situationell begrenzt an. Ihre Träger sind soziale Rollen, das heißt aus verschiedenen Praktiken zusammengesetzte Verhaltensmuster, die über die Zeit stabil sind, nicht immer ausgefüllt sein müssen und gewechselt werden können.
    Praktiken werden reproduziert, da sie durch die Rollen an das gesellschaftliche Machtkonzept angebunden sind. Allen Rolleninhabern empfiehlt sich dieAnwendung der zugehörigen Praktiken, da nur so Anreize wahrgenommen oder Sanktionen verhindert werden können.
    Mutationen und Rekombinationen von Praktiken werden durch das Konzept der Rolle möglich. Rolleninhaber führen eine Rolle auf, wodurch sich Unterschiede in der Auslegung ergeben können. Diese Unterschiede können einerseits unbewusst sein, andererseits durch aktive Rollengestaltung zu bewusst verursachten, wenn auch oftmals nicht intendierten Veränderungen führen (Schmidt-Wellenburg 2005: 76f.).
    Runciman nennt als primäre selektive Umwelt bei der biologischen Evolution die Natur, bei der kulturellen Evolution das kulturelle System und bei der sozialen Evolution die institutionelle Ordnung (Schmidt-Wellenburg 2005: 80).
    Auf die Mem-bezogenen Vorstellungen Runcimans wurde bereits im Abschnitt
Kulturelle Evolution
auf Seite → eingegangen, so dass ich mich an dieser Stelle auf eine Diskussion seiner Theorie der sozialen Evolution beschränken kann.
    Runciman hat sicherlich ein sehr ausgefeiltes Evolutionskonzept vorgelegt, aus Sicht der
Systemischen Evolutionstheorie
ist es jedoch alles andere als schlüssig. Es fängt schon mit der Wahl der Replikatoren an, wobei sich ohnehin die Frage stellt, ob die Suche

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