Evolution, Zivilisation und Verschwendung
dessen Selbsterhaltungsinteressen zu eigen machen wird, ein durchaus erwünschter Effekt, denn nun wird der Mitarbeiter ja ein unmittelbares eigenes Interesse daran haben, seine Kreativität im Dienste des Arbeitgebers zu entfalten. Bei Zulieferern und externen Mitarbeitern, die häufig recht ähnlich am Erfolg ihres Auftraggebers partizipieren, wird das nicht viel anders sein.
Verursacht ein Unternehmen beispielsweise gravierende ökologische Belastungen, weswegen ihm zusätzliche Auflagen erteilt werden sollen, die seinen wirtschaftlichen Erfolg ganz erheblich beeinträchtigen könnten, dann wird man gerade bei dessen Mitarbeitern mit Widerstand gegen die geplanten Maßnahmen zu rechnen haben, denn diese sind ja davon ebenfalls betroffen. Wenn ein Unternehmen mit 50.000 Mitarbeitern Konkurs anmelden muss, dann verlieren gegebenenfalls alle 50.000 Arbeitnehmer ihren Job. Entsprechend machtvoll sind die gebündelten Interessen, die das Unternehmen von innen heraus vorantreiben, ganz ähnlich wie dies Zellen bei einem Organismus tun.
Allerdings besteht zwischen einer Zelle und ihrem Organismus eine viel engere Bindung als zwischen einem Mitarbeiter und seinem Organisationssystem. Eine Zelle könnte sich nie von ihrem Organismus trennen, sie ist ihm auf Gedeih oder Verderb ausgeliefert. Bei einem Unternehmen und seinen Mitarbeitern sieht das ganz anders aus, denn hier hat die gegenseitige Bindung ja nur vertraglichen Charakter.
Doch genau dieser Umstand wird nun im Rahmen der Globalisierung zunehmend als Problem oder gar als Bedrohung empfunden. War ein Unternehmen vor noch nicht allzu langer Zeit an einen bestimmten Standort und damit weitestgehend an das dort verfügbare Humankapital gebunden, so kann es heute seine Standorte dahin verlegen, wo es die günstigsten Bedingungen und die „besten Gehirne“ (Radermacher 2006a) zur Erfüllung seiner eigenen Selbsterhaltungsinteressen vorfindet. Dies führt automatisch zu einer Schwächung der Stellung von Arbeitnehmern und Nationalstaaten gegenüber den global operierenden Organisationssystemen. Mit einer hohenSensibilität der Unternehmen gegenüber den reproduktiven Interessen von Arbeitnehmern darf unter solchen Umständen nicht gerechnet werden.
Im Abschnitt
Leben und Fortpflanzung
auf Seite → wurde gezeigt, dass es sich bei der biologischen Evolution ganz wesentlich um Entwicklungsprozesse bezüglich der Nutzung von Energie handelt. Ist irgendwo Energie in konzentrierter Form vorhanden, dann dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch ein geeigneter Nutzer dafür auftaucht (siehe dazu auch die Ausführungen im Abschnitt
Leben als dissipative Struktur
auf Seite → ). Fressen und gefressen werden, lautet die Devise. Aus diesem Grunde ist auch davon auszugehen, dass die Organisationssysteme jegliche zur Verfügung stehende Energie – egal ob aus Kohle, Öl, Gas, Atom oder der Sonne – nutzen werden. Gleichzeitig werden sie immer mehr Energie für sich nutzbar machen. Ihre Selbsterhaltungsinteressen werden alle Energien ansaugen, die sie nur bekommen können. Franz Josef Radermacher interpretiert entsprechende, vom Entropiesatz geleitete Äußerungen Jacques Neiryncks in einem Geleitwort zu dessen Buch „
Der göttliche Ingenieur
“ (Neirynck 2006) denn auch wie folgt:
Dies gipfelt in der These, dass die Erfindung von biochemischen Strukturmechanismen bis hin zur Erfindung des Lebens beziehungsweise denkender Wesen, ein besonders effizienter Weg der Natur sein könnte, den Weg in die totale Unordnung immer noch mehr zu beschleunigen.
Einige Autoren (zum Beispiel Kapitza 2006) sehen in der Menschheit selbst so etwas wie einen Superorganismus. Darwin fasste sogar Ameisen- und Bienenkolonien als solche auf (Weber 2005: 184). Im vorliegenden Buch wird eine davon abweichende Auffassung vertreten: Die Organisationssysteme sind Superorganismen 178 . Die Menschheit selbst besitzt dagegen diesen Status zurzeit noch nicht. Im Gegenteil: Die Menschheit als Ganzes ist noch weitestgehend unorganisiert.
Jacques Neirynck beschreibt in „Der göttliche Ingenieur“ (Neirynck 2006) die Geschichte der Menschheit als eine Abfolge unterschiedlicher „technischer Systeme“, die nach einiger Zeit stets an ökologische Grenzen gestoßen sind. Nach Überwindung der jeweiligen Scheidelinien – durch technische oder organisatorische Innovationen – sei dann das nächste System gefolgt. Seiner Meinung nach wurde in Europa um das Jahr 1300 die äußerste Spitze dessen
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