Evolution, Zivilisation und Verschwendung
der
Autopoiesis
bislang noch nie gehört hat, wird sich vielleicht mit manchen Definitionen und Formulierungen schwer tun. Entscheidend für das Verständnis aller späteren Kapitel dürfte aber vor allem eins sein: Im Abschnitt
Systemische Evolutionstheorie
auf Seite → wird dargelegt, dass nur Populationen, deren Individuen
autonome Systeme mit eigenständigen Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen
sind, aus sich selbst heraus evolvierenden können, das heißt, nur solche Populationen können sich fortlaufend weiterentwickeln, ohne auf den Eingriff eines externen Schöpfers angewiesen zu sein. Im Klartext heißt das: Äpfel, Nasen, Ohren, Gene, Meme, wissenschaftliche Theorien, Hypothesen, Entscheidungen, Computersysteme, Software, Mobiltelefone etc. können nicht eigendynamisch evolvieren, Apfelbäume, Menschen, Gesellschaften und Unternehmen dagegen sehr wohl. Dies ist vermutlich der entscheidende Paradigmenwechsel des vorliegenden Buches. Denken Sie an Dinge, die Sie für selbstständig halten, die eine eigene Identität besitzen und sich selbsterhalten und erneuern wollen. Nur um solche Objekte geht es im Folgenden. Wenn Sie dies verstanden haben, macht es im Grunde nichts, wenn sich Ihnen der eine oder andere theoretische Zusammenhang nicht erschließt.
Systemtheorien verfolgen meist einen
strukturfunktionalen
Ansatz. Dabei wird ein System als eine sich in Elemente untergliedernde und eine bestimmte Struktur aufweisende Einheit verstanden. Die Funktionen sind der Struktur nachgelagert, da sie primär deren Bestand sichern sollen.
Niklas Luhmann definiert Systeme dagegen über deren Operationen. Für ihn ist nicht die Systemstruktur entscheidend, sondern das Verhältnis zwischen einzelnen Systemen und deren Funktionen. In seiner Systemtheorie ist folglich die Struktur der Funktion nachgelagert, weswegen er den Begriff der
funktional-strukturellen
Systemtheorie prägte. Während also in strukturfunktionalen Ansätzen Systeme bereits Strukturen besitzen, geht Luhmann von der Annahme aus, dass sich soziale Systeme erst durch menschliche Kommunikation bilden (siehe dazu auch die detaillierteren Ausführungen in den Abschnitten
Systemtheorie (Parsons/Luhmann)
auf Seite → und
Luhmannsche Systemtheorie
auf Seite → ).
Im Grunde handelt es sich bei dieser Auseinandersetzung jedoch um eine Henne-Ei-Problematik, die für die weiteren Ausführungen des vorliegenden Buches ohne Relevanz ist.
3.1 Systemdefinition
Eine allgemeingültige Systemdefinition existiert nicht. Meist wird aber angenommen, ein System müsse mindestens die folgenden Eigenschaften besitzen:
Es grenzt sich gegenüber seiner Umwelt ab.
Es besteht aus Elementen (Komponenten), deren Beziehungen zueinander wesentlich, zur Umwelt jedoch vernachlässigbar sind.
Oder etwas anders ausgedrückt:
Ein System ist eine relativ stabile, geordnete Menge aus Elementen und Beziehungen, die als Einheit begriffen wird, und die sich gegenüber ihrer Außenwelt abgrenzt.
Ein System besitzt folglich eine sich von ihrer Umgebung unterscheidende innere Ordnung und ist damit auch – im Vergleich zu seiner Außenwelt – entropiearm.
Beispiele für Systeme sind Sonnensystem, Lebewesen, Unternehmen und technische Geräte.
3.2 Leben als Prozess des Erkennens
Gemäß dem gerade Gesagten sind sowohl Planetensysteme als auch Lebewesen Systeme. Doch worin unterscheiden sich die beiden? Was hat ein Tier, was ein Sonnensystem nicht hat?
Vor etwa 65 Millionen Jahren schlug ein Meteor auf die Erde ein, der die Lebensgrundlage vieler biologischer Arten – darunter auch die der Saurier –zerstörte. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen: Die Erde ließ das Ereignis passiv über sich ergehen 34 . Wäre der Meteor knapp an ihr vorbeigeflogen, dann hätte sie das genauso unbeteiligt hingenommen wie den damaligen Einschlag 35 .
Doch nun werfen Sie einmal einen Stein in Richtung eines etwa zehn Meter vor Ihnen hockendes Kaninchens und schauen Sie, was passiert: Das Kaninchen wird versuchen, ihrem Stein
aktiv
auszuweichen.
Leben scheint also vor allem etwas mit der Fähigkeit zu tun zu haben, sich selbst als
Subjekt
gegenüber einer sich davon abgrenzenden Umwelt (
Objekt
) zu erleben. Wir haben es in diesem Falle nicht einfach nur mit einer
SystemUmwelt-Differenz
zu tun, sondern mit einem System, welches die Differenz erkennen beziehungsweise definieren kann, und hierdurch in die Lage versetzt wird, sich als
Subjekt aktiv
selbstzuerhalten 36 . Zum Leben kann
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