Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Weibchen üblicherweise durch die Männchen dominiert. Ihr Selektionsinteresse spielt dann bei der Paarung nur noch eine untergeordnete Rolle.
Bei der klassischen sexuellen Selektion (durch die Weibchen) signalisieren die Männchen den Weibchen ein Selektionsinteresse und werden dann durch letztere ausgewählt oder auch nicht. Wie im Laufe des Buches noch gezeigt wird, bewirkt dieser scheinbar kleine Unterschied so etwas wie Zivilisation, aber eben auch Verschwendung.
4.15 Menschliche Paarungssysteme
Beim Menschen besteht ein relativ geringer Größenunterschied zwischen den Geschlechtern. Ferner ist die Hodengröße von Männern relativ zur Körpergröße kleiner als die von Schimpansen, aber größer als die von Gorillas. Beide Faktoren sprechen deshalb für ein über die längste Zeit der menschlichen Geschichte vorwiegend monogames Paarungssystem mit gelegentlichem Fremdgehen, so wie es auch heute noch fast überall auf der Welt praktiziert wird. Allerdings gab es ab dem Neolithikum auch zahlreiche Kulturen mit starker Haremsbildung (Ridley 1995: 219ff.). Die Menschheit –und abgeschwächt gilt dies wohl auch für andere Arten mit komplexem Sozialverhalten – verfügt offenbar über kein festes und einheitliches Paarungssystem, sondern über viele: für jede Gelegenheit eines (Ridley 1995: 229).
Der Mensch hebt sich in der Natur durch besonders ausgeprägte Elterninvestments hervor (Weber 2003: 80), was eine direkte Folge der Entwicklung des menschlichen Gehirns sein dürfte. Damit die Passage des im Laufe der Menschwerdung immer größer werdenden Kopfes von Säuglingen während der Geburt durch den Muttermund und die Beckenknochen der Frau noch möglich war, bedurfte es seitens der Natur einer Doppelstrategie: Menschliche Säuglinge kommen als hilflose Frühgeburten zur Welt, damit ihr Kopf nach der Geburt noch weiter wachsen kann (Hill/Kopp 2004: 27). Ein Kind muss deshalb unbedingt durch Erwachsene aufgezogen, beschützt und über eine längere Zeit sogar getragen werden (Neirynck 2006: 88; Mayr 2005: 303ff.).
Damit verbunden waren eine ganze Reihe weiterer Veränderungen (Junker 2006b: 74ff.):
Herausbildung der menschlichen Familienstruktur und die damit einhergehende Arbeitsteilung der Geschlechter: Die Männer sorgen für Fleisch und Schutz, die Frauen ziehen die Kinder auf. Diese grundlegende Familienorganisation entwickelte sich beim Menschen vermutlich bereits vor zwei Millionen Jahren (Junker 2006b: 75). Unter Primaten kommen dauerhafte Kernfamilien nur beim Menschen vor (Weber 2003: 74).
Angleichung des Körpergewichts zwischen den Geschlechtern als Ausdruck relativer Monogamie.
Ständige weibliche Sexualbereitschaft, möglicherweise um das Interesse und die Loyalität des zugehörigen monogamen Mannes aufrechtzuerhalten (Vollmer 2002: 80).
Körperliche Verdeckung des Eisprungzeitpunktes bei den Frauen.
Einige Anthropologen sind der Ansicht, die spezifische menschliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern habe einen entscheidenden evolutionären Vorteil dargestellt, da es dem Homo Sapiens auf diese Weise gelungen sei, mehr Nachwuchs durchzubringen. Bei den Neandertalern soll eine ähnlich strikte sexuelle Arbeitsteilung nicht bestanden haben, was entscheidend zu deren Aussterben beigetragen habe (Kuhn/Stiner 2006).
In diesem Zusammenhang sind auch die folgenden Fakten zu bedenken:
Der enorme Größenzuwachs des menschlichen Gehirns während der Altsteinzeit dürfte sich nur mit einer fleischbetonten Ernährung erklären lassen (Reichholf 2004: 115ff.; Aiello/Wheeler 1995; Mersch 2006c: 40ff.).
Die spezifische menschliche Nahrung in Verbindung mit der Hilflosigkeit menschlicher Säuglinge machte die Frauen in der Altsteinzeit von der regelmäßigen Nahrungsversorgung durch männliche Jäger abhängig. Auf sich allein gestellte Frauen konnten als Sammlerinnen nur eine Notnahrung beschaffen. Dies erklärt den reziproken Altruismus des menschlichen Familienmodells.
Ohne die Errungenschaften der Medizin und Hygiene und der damit verbundenen verringerten Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit mussten Frauen für eine bestandserhaltende Reproduktion stets eher durchschnittlich fünf bis acht Kinder in die Welt setzen und aufziehen (Joas 2001: 483) und nicht wie heute durchschnittlich 2,1 112 . Häufig widmeten sie mehr als 75 Prozent ihrer Lebensarbeitszeit dieser Aufgabe. Gleichzeitig war ihre Lebenserwartung während des größten Zeitraums der Menschheitsgeschichte deutlich geringer
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