Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Abschnitt
Fitnessindikatoren
auf Seite → kennengelernt: Ein Handicap ist ein spezieller FitnessindikatorTyp, der dem Aussenden von
fälschungssicheren
Signalen an die Umwelt dient (Zahavi/Zahavi 1998). In der Regel geht es dabei um das Anzeigen von verborgenen, inneren Eigenschaften, die etwas über die aktuelle Fitness aussagen. Dieses indirekte Hervorbringen verborgener Kompetenzen könntesalopp auch als „Angeben“ von nichttransparenten Eigenschaften bezeichnet werden. Uhl und Voland gaben ihrem Buch zum Handicap-Prinzip denn auch den entsprechenden Titel „
Angeber haben mehr vom Leben
“ (Uhl/Voland 2002).
Einige Autoren behaupten nun, beim Handicap-Prinzip handele es sich um ein fundamentales Kommunikationsprinzip, womit sich auch zahlreiche menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Phänomene erklären ließen (Uhl/Voland 2002; Zahavi/Zahavi 1998). Gemäß dem vorliegenden Buch ist die Gefallen-wollen-Kommunikation jedoch das grundlegendere Interaktionsprinzip.
Als fälschungssicher gelten in der Natur generell solche Fitnessindikatoren, zu deren Hervorbringung tatsächlich eine hohe Fitness erforderlich ist, denn die Natur kennt – anders als menschliche Gesellschaften – keine notariellen Beglaubigungen oder sonstigen Verfahren mit Beteiligung von vertrauenswürdigen dritten Parteien (sogenannten Trusted Third Parties).
Allein schon dieser Hinweis macht deutlich, dass das Handicap-Prinzip nur bedingt auf menschliche Gesellschaften übertragbar ist. Moderne Gesellschaften haben zahlreiche Verfahren und Institutionen zur kostengünstigen Übertragung fälschungssicherer Signale implementiert. Ein Umweg über teure Handicaps kann dann meist entfallen.
Ein typisches Beispiel dafür ist das Geld. Faktisch handelt es sich hierbei um wertloses Papier, welches seinen Tauschwert über den Status als „Banknote“ – versehen mit der Signatur einer Trusted Third Party – bezieht. Nun kann ein Käufer verschiedene Waren mit Papiergeld bezahlen, ohne jedes Mal vorher seine Kreditwürdigkeit (Fitness) nachweisen zu müssen.
In der wilden Natur, die keine vertrauenswürdigen dritten Parteien kennt, sieht das natürlich ganz anders aus. Dort gilt generell (Voland 2007: 128):
Die Botschaft der teuren Signale ist so einfach wie logisch: Nur wer es sich leisten kann, die damit verbundenen Extrakosten in Kauf zu nehmen, kann sich den betreffenden Aufwand auch tatsächlich leisten. Täuschung ausgeschlossen.
Grundsätzlich sind zwei Typen von Handicaps 115 zu unterscheiden, und zwar je nachdem, ob es sich bei der vorliegenden Interaktion um eine dominante oder eine Gefallen-wollen-Kommunikation handelt.
Beispielsweise wird sich eine von einem Wolf gejagte Gazelle in erster Linie dafür interessieren, dem Jäger die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens möglichst rasch und überzeugend nahezubringen. Hierzu führt sie etwa besonders hohe und dynamische Prellsprünge aus, die dem Wolf signalisieren sollen, dass sie noch über sehr viele Reserven verfügt und sich viel schneller bewegen könnte, als sie es derzeit tut. Möglicherweise wird sich der Wolf dann einem anderen Tier zuwenden, denn beide Seiten wollen auf keinen Fall unnötig viel Energie verschwenden.
Bei der dominanten Kommunikation steht folglich vor allem die aktuelle Fitness im Vordergrund. Ein Hinkelstein-tragender Obelix dürfte deshalb auch auf eine Gruppe Römer ausgesprochen furchteinflößend wirken. Vermutlich würden sie sich fragen: „Wie leistungsfähig muss Obelix erst einmal sein, wenn er sein riesengroßes Handicap abgelegt hat?“
Bei der Gefallen-wollen-Kommunikation kann dagegen manchmal auch die langfristige Fitness eine entscheidende Rolle spielen. Beispielsweise könnte eine Steinzeitfrau den bereits reiferen Häuptling einem aktuell wesentlich fitteren und jüngeren Mann vorziehen, weil der Häuptling ja sogar eine erwiesene lebenslängliche Fitness aufzubieten hat, während man über den jüngeren Mann in dieser Hinsicht noch nichts Eindeutiges sagen kann. Aus diesem Grund dürften bei der Gefallen-wollenKommunikation langfristige, permanente Handicaps, die also nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder abgelegt werden können, besonders überzeugend sein. Ein typisches Beispiel dafür ist der Schweif der männlichen Pfauen. Ein Obelix, der nur einmalig einen Hinkelstein trägt, dürfte die Gallier-Frau folglich noch nicht vollständig von sich überzeugen können, denn eventuell hat er ja gerade den Zaubertrank des
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