Evolution, Zivilisation und Verschwendung
heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.
Beim Thema Kultur interessiert aber nicht nur deren sukzessive Weiterentwicklung, sondern insbesondere auch deren Funktion als Träger des gesammelten Wissens vergangener Generationen, das heißt, aller einer Population zur Verfügung stehenden erworbenen Fähigkeiten. Und auch diese Kompetenzen werden im Rahmen der Erziehungs- und Bildungsprozesse weniger durch freies Replizieren von Gehirn zu Gehirn vermittelt, als vielmehr vorrangig durch gezielte Lernprozesse, bei denen nicht selten auch dominante Kommunikationsformen (siehe dazu den Abschnitt
Dominante Kommunikation
auf Seite → ) zum Einsatz kommen.
Anders gesagt: Ein Großteil der Kultur wird Kindern im Rahmen des Sozialisations- und Erziehungsprozesses in der Familie, im Kindergarten und in der Schule vermittelt. Dabei steht gezieltes Lernen im Interesse der Lehrenden, der Gesellschaft und der sozialen Systeme im Vordergrund, und nicht die Auswahl beziehungsweise Modifikation kultureller Elemente auf Seiten der Lernenden, und zwar ganz unabhängig davon, ob sich die vermittelten Kompetenzen durch prägungsähnliches Lernen (Volant 2007: 150ff.) oder durch einen gänzlich anderen kognitiven Mechanismus aufbauen.
Gemäß der Systemischen Evolutionstheorie können nur biologische Phänomene evolvieren, das heißt, Systeme, bei denen wenigstens einige Elemente autopoietisch (lebende Systeme) sind. Letztlich sind es deren Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen, die den Prozess in Gang setzen und dann auch am Leben erhalten. Gene und Meme scheiden somit als Motoren der Evolution aus, denn beiden mangelt es an entsprechenden Eigenschaften. Gene und Meme sind einfach nicht autonom und selbsterhaltend genug, um die egoistischen Interessen entwickeln zu können, die ihnen nachgesagt werden (Dawkins 2007). Für Evolutionsprozesse sind solche Interessen jedoch unerlässlich.
Im nächsten Abschnitt wird die Evolution der Technik als ein Aspekt der sie antreibenden Evolution der Organisationssysteme (insbesondere Unternehmen) gedeutet, die aus einem inneren Selbsterhaltungsinteresse heraus permanent darum bemüht sind, ihre Kompetenzen (Produkte und Dienstleistungen) in Bezug auf ihren Lebensraum (Märkte) zu erhalten beziehungsweise noch zu verbessern. Innovation ist in diesem Sinne ein ganz normaler Adaptionsprozess. Versäumte es ein Unternehmen, seine Produkte regelmäßig zu optimieren, verlöre es an Kompetenzen im Vergleich zu seinen Konkurrenten, sofern diese nicht ganz ähnlich handeln wie es selbst, wovon aber in der Regel nicht auszugehen ist.
Ohne zu weit vorzugreifen, sei an dieser Stelle nur angemerkt: Die kulturelle Evolution funktioniert ganz ähnlich, denn auch hier sind es Menschen und soziale Systeme (zum Beispiel Organisationssysteme) mit ihren Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen, die den Prozess auf den Weg bringen.
Nicht Meme streben danach, sich mit ihren Melodien oder Gesängen in menschliche Gehirne einzunisten, um sich von dort, einem Virus gleich, über die ganze Welt auszubreiten, sondern „Systeme“ wie zum Beispiel „Take That“ oder „Tokio Hotel“. Und es gibt auch kein Gott-Mem, welches selbstständig danach trachtet, in möglichst viele Gehirne zu gelangen, sondern die christlichen Kirchen sind die treibende Kraft dahinter.
Wenn man so will, dann könnte man Meme als die „virtuellen“ Produkte (Kompetenzen, Adaptionen, Botschaften etc.) sozialer Systeme auffassen, die einmal in einem Gehirn angekommen, sich von dort durchaus auch mittels Imitation in weitere Gehirne verpflanzen können. Das gelingt natürlich ganz besonders dann, wenn das Mem einen integrierten Mechanismus zur Selbstreplikation besitzt, etwa so:
Dein Leben ist voller Entbehrungen. Aber wenn du feste an Gott glaubst, wird er dich später dafür belohnen, und zwar umso reichlicher, je mehr Menschen du von der Botschaft Gottes hast überzeugen können.
In diesem Falle schlüpft das Selbsterhaltungsinteresse des BotschaftenUrhebers in die Message, um beim Botschaften-Empfänger zu dessen Selbsterhaltungsinteresse zu mutieren, ganz ähnlich wie dies Viren auch praktizieren. Und so geht die Botschaft dann um die ganze Welt.
Eine andere Möglichkeit ist, sich sogenannter Celebrities zu bedienen. Wenn eine Person erfährt, dass eine bekannte und erfolgreiche Persönlichkeit dies oder jenes tut beziehungsweise glaubt, und bestimmte Produkte kauft, dann möchte sie
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