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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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andere Träger das davon erzeugte Verhalten oder die Einschätzung dieses Verhaltens ebenfalls als psychische Gratifikation werten und so ein Prozess des Lernens oder der Imitation einsetzt, was im gegebenen Fall eine Erhöhung der Replikationschancen des Mems nach sich zieht. Die Memzusammensetzung anderer Träger und damit das kulturelle System können also als primäre selektive Umwelt bezeichnet werden.
    Nach meiner Auffassung liegt bereits hier ein entscheidender Denkfehler vor. Folgen wir dazu zunächst einmal einem Beispiel Richard Dawkins aus der Zoologie (Dawkins 2007: 316 f.):
    Kulturelle Vererbung gibt es nicht nur beim Menschen. Das beste nicht auf Menschen bezogene Beispiel, das ich kenne, hat kürzlich P. F. Jenkins beschrieben. Es ist der Gesang eines Vogels, des NeuseelandLappenstares, der auf den Inseln vor der neuseeländischen Küste lebt. Auf der Insel, auf der Jenkins arbeitete, gab es im Ganzen ein Repertoire von etwa neun verschiedenen Melodien. Die Männchen ließen sich in Dialektgruppen einteilen. Zum Beispiel sang eine Gruppe von acht Männchen mit benachbarten Revieren ein spezielles Lied, das Jenkins die CC-Melodie nannte. Andere Dialektgruppen sangen davon abweichende Melodien. Zuweilen hatten die Angehörigen einer Dialektgruppe mehr als einen charakteristischen Gesang gemeinsam. Durch Vergleichen der Melodien von Vätern und Söhnen zeigte Jenkins, dass die Gesangsmuster nicht genetisch ererbt waren. Wahrscheinlich übernahm jedes junge Männchen durch Nachahmung Gesänge von seinen Reviernachbarn, auf eine ähnliche Weise, wie dies auch bei der menschlichen Sprache geschieht. Fastwährend der gesamten Zeit, die Jenkins dort verbrachte, gab es auf der Insel eine feststehende Zahl von Melodien, eine Art „Melodiepool“, aus dem jedes junge Männchen sein eigenes kleines Repertoire schöpfte. Hin und wieder hatte Jenkins das Glück, die „Erfindung“ eines neuen Gesangs mitzuerleben, der durch einen Fehler bei der Nachahmung einer alten Melodie entstand. Er schreibt: „Wie gezeigt wurde, entstehen neue Gesangsformen auf verschiedene Weise durch Verändern der Tonhöhe, Wiederholung eines Tones, Auslassung von Tönen und Verknüpfung von Teilen anderer bestehender Lieder … Das Auftreten einer neuen Form war ein plötzliches Ereignis, und das Produkt blieb für eine Reihe von Jahren ziemlich unverändert. Außerdem wurde in einer Reihe von Fällen die Variante in ihrer neuen Gestalt an junge Sänger weitergegeben, so dass sich eine erkennbar kohärente Gruppe von Individuen mit ähnlichem Gesang entwickelte.“ Jenkins bezeichnet die Entstehung neuer Melodien als „kulturelle Mutation“.
    Die Vorstellung hierbei ist in etwa die: Hin und wieder erfindet ein Lappenstar-Männchen eine neue Melodie, die eventuell von anderen Individuen aufgegriffen und dabei gegebenenfalls leicht modifiziert wird. Auf diese Weise ändert und erweitert sich mit der Zeit der Melodiepool der Population.
    Dies mag bei einfacheren Dingen durchaus auch in menschlichen Gesellschaften so sein, aber ich denke, in der Regel dürfte die kulturelle Weiterentwicklung beim Menschen ganz anders verlaufen.
    Stellen Sie sich etwa vor, Sie wollten ein berühmter Schriftsteller werden, ja im Prinzip ein neuer Goethe. Und auf dem Wege dorthin wollten Sie ein Leben wie Henry Miller führen. An eigenen Kindern wären Sie nicht unbedingt interessiert, stattdessen aber an einer kulturellen Verewigung, speziell seit dem Sie gelesen haben, dass (Menninghaus 2007: 220)
    gerade die scheinbar idealistisch-sublimierende Einklammerung des „Interesses“ an der „Existenz“ des schönen Objekts jene selbsterhaltende und selbstreproduktive Funktion betone, in welche auch die Evolutionstheorie die „Vorteile“ ästhetischer Urteils- und Selektionsakte setzt. Ästhetische Erfahrung verschafft den – mit Kants Worten – „Vermögen“ des „Subjekts“ einen Raum der selbstreflexiven Prozessierung, ein externes Medium der Selbstfortsetzung, ja, des Selbstentwurfs und der Selbstreproduktion – so wie sexuelle Selektion den eigenen Vermögen ein Medium der (gebrochenen) Selbstfortsetzung sucht.
    Schon bald haben Sie einen ersten Roman geschrieben und dafür auch tatsächlich einen Verleger gefunden, was keineswegs selbstverständlich ist, denn Sie haben ja noch keinen Namen. Von Ihrem Buch werden 500 Exemplare verkauft. „Ein Achtungserfolg“ werden Sie sich vielleicht sagen.
    Doch wie wird die Sache weitergehen? Wird

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