Evolution, Zivilisation und Verschwendung
unlängst erstandenen, „ganz normalen“ Mobiltelefon in der nächsten Generation ein ultraflaches und -leichtes Gerät werden, was nun dreimal so lange ohne Netz betreibbar ist und zusätzlich Fotoapparat, Filmkamera, MP3-Player, Rundfunkempfänger, Terminplaner, Taschenrechner und jede Menge andere Features besitzt?
Die Lösung ist denkbar einfach: Nicht die Technik evolviert, sondern die sie konstruierenden Unternehmen, bei denen es sich um Organisationssysteme und damit um selbsterhaltende Systeme handelt. Wer nämlich ein Nokia-Handy erwirbt, entscheidet sich für einen Teil der Kompetenzen des Herstellers. Kein einzelner Mensch könnte ein solch komplexes und innovatives Gerät entwickeln, ein Unternehmen kann das aber sehr wohl.
Eine indirekte – und fast absurd klingende – Konsequenz daraus ist: Da es sich bei Organisationssystemen um biologische Phänomene handelt (siehe dazu die Ausführungen in den Abschnitten
Selbsterhaltende Systeme
auf Seite → und
Soziale Systeme
auf Seite → ), sind Mobiltelefone letztlich Naturprodukte.
Unternehmen bieten ihre Waren und Dienstleistungen auf Märkten an, wo sie auf Konkurrenten, aber auch auf potenzielle Käufer treffen.
Evolutionstheoretisch gesprochen könnte man sagen: Die Population besteht aus einer Menge sich unterscheidender Individuen, nämlich den verschiedenen Marktanbietern (Herstellern). Dominiert ein einzelner Wettbewerber den Markt (Monopol), wird das Kriterium der Variation verletzt. Eine Evolution der Marktanbieter (Individuen) ist dann kaum mehr möglich. Aus diesem Grund werden Marktwirtschaften stets innovativer (aber auch verschwenderischer: siehe Unterabschnitt
Wirtschaft
auf Seite → ) als Gesellschaftssysteme mit Staatsmonopolen sein.
Der Markt stellt den Lebensraum (die primäre selektive Umwelt) der Marktanbieter (Individuen) dar. Mit ihren Kompetenzen (insbesondere Produkten und Dienstleistungen) sind sie mehr oder weniger gut an dessen Anforderungen angepasst.
Auf den Märkten (Milieu) versuchen die Unternehmen Ressourcen (Geld) zu erlangen, indem sie nämlich ihre Kompetenzen zur Geltung bringen, das heißt, ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten. Wer mehr Produkte oder Dienstleistungen gewinnbringend verkauft, erlangt folglich auch mehr Ressourcen.
Auf den Märkten selbst herrscht eine Gefallen-wollen-Kommunikation vor: Die Anbieter preisen ihre Produkte an, und die Abnehmer treffen dann ihre Wahl, ganz so, wie in der Natur die Partnerwahl im Rahmen der sexuellen Selektion abläuft (dem Modell aller späteren Märkte). Viele Kunden wählen Produkte gemäß echten Fitnessindikatoren. Dazu vergleichen sie zum Beispiel die Spezifikationen verschiedener in Frage kommender Geräte oder lassen sich von Testberichten leiten. Oft spielt aber bereits bei der Kaufentscheidung die Marke eine ausschlaggebende Rolle, denn schließlich erwirbt der Kunde ja einen Teil der Kompetenzen eines konkreten Unternehmens. So dürfte beispielsweise die Frage, ob dem Unternehmen mit seinen Kompetenzen auch in Zukunft eine zufriedenstellende Adaption an die Marktverhältnisse gelingt, auch für den Käufer interessant sein. In vielen Fällen hat die Marke aber lediglich ein entsprechend positives Image (Prestige) auf der Konsumentenseite, das heißt, sie löst dort positive
Qualia
aus.
Damit die potenziellen Käufer von den Produkten und ihren vermeintlich phänomenalen Eigenschaften auch erfahren, stoßen die verschiedenen Hersteller und sonstigen Marktanbieter ganz regelmäßig Brunftschreie aus, zum Beispiel in Form von Werbung (Gefallen-wollen-Kommunikation): Sie wollen auf sich aufmerksam machen. Oft ist die Werbung gleich so gestaltet (zum Beispiel mit knapp bekleideten Mädchen auf der Kühlerhaube), dass unmittelbar deutlich wird, worum es beim verschwenderischen Konsum letztlich geht: Kompetenzen und Fitnessindikatoren zu erwerben, mit denen dann hoffentlich mehr Sexualpartner gewonnen werden können (Reproduktionsinteresse).
Die verschiedenen anbietenden Marktteilnehmer werden normalerweise versuchen, einen möglichst hohen Marktanteil zu erzielen, das heißt, möglichst oft von den Kunden gewählt zu werden (Selbsterhalt der Anbieter).
Betrachten wir exemplarisch ein einzelnes Unternehmen. Mit jedem Verkauf erzielt das Unternehmen Einnahmen, das heißt, es gewinnt Ressourcen (Geld). Wenn die Einnahmen pro Verkauf größer sind als die dafür getätigten Ausgaben, erzielt das Unternehmen bei jeder Transaktion einen Gewinn. Die
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