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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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unterbrochen wurde. Es war nichts von den Schreien und Rufen
zu vernehmen, die eine Attacke von zwei ›Jungmannen‹ auf
ein dominantes Männchen normalerweise begleitet hätten.
    Und doch war dieser Kampf tödlich. Denn unter Flecks
Führung drängten die beiden Brüder Weißblut
Schritt für Schritt zum Rand des Floßes.
    Es war Fleck, die den letzten Schlag führte: Mit einem
heiseren Brüllen rammte sie Weißblut erneut den Kopf in
den Bauch. Weißblut taumelte zurück und fiel durch das
lose Geäst am Rand des Floßes ins Wasser. Er trieb rudernd
und prustend im Wasser. Das Fell sog sich sofort voll und behinderte
seine Bewegungen. Er schaute zum Floß zurück und winselte
wie ein Kleinkind mit seiner schwarz verfärbten Zunge.
    Brille und Linkshänder waren verwirrt. Sie hatten
Weißblut nicht töten wollen; die wenigsten Rangkämpfe
unter den Anthros endeten tödlich.
    Streuner verspürte einen seltsamen Anflug von Bedauern. Es
gab sowieso nur noch ein paar von ihnen. Der Instinkt sagte ihr, dass
ein zu kleiner Pool potentieller Paarungs-Gefährten nicht gut
sei. Doch für diese Bedenken war es nun zu spät.
    Weißblut verließen schnell die Kräfte. Bald
vermochte er Mund und Nase nicht mehr über Wasser zu halten, und
er bewegte sich nicht mehr. Der Hai, angelockt vom Blut, das aus
Weißbluts Wunden sickerte, verschlang den Körper mit einem
Biss.
     
    Danach wurde es noch schlimmer für sie. Während das
leise knarrende Floß über die Weiten des Ozeans driftete
und diese kleinen Kreaturen ihre letzten Reserven aufzehrten, konnte
es nur schlimmer werden.
    Streuners Gliedmaßen waren angeschwollen. Die gespannte Haut
schmerzte ständig und riss schnell. Die Zunge quoll ihr aus dem
Mund, als ob man ihr einen großen Klumpen Dung hineingestopft
hätte. Die Augenlider waren aufgeplatzt, und sie hatte das
Gefühl zu weinen; als sie aber das Fell berührte, sah sie,
dass es Blut war, das aus den Augen tropfte.
    Sie wurde bei lebendigem Leib mumifiziert.
    Und eines Morgens hörte sie schließlich einen Schrei,
hoch und leise wie der eines Vogels.
    Sie schob das Laub weg, mit dem sie sich zugedeckt hatte, und
setzte sich aufrecht hin. Die Welt wurde gelb, und sie hatte ein
seltsames Klingeln im Ohr. Sie sah kaum noch etwas; das Blickfeld war
verschwommen, und als sie blinzelte, verschaffte das den Augen keine
Erleichterung. Der Körper vermochte keine Feuchtigkeit mehr
abzugeben.
    Trotzdem erkannte sie, dass zwei Anthros – Fleck und Brille
– nebeneinander über einer dunklen zusammen gekrümmten
Gestalt saßen. Vielleicht war es etwas zu essen. Unter
Schmerzen kroch sie zu ihnen hinüber.
    Es war Linkshänder, der mit gespreizten Gliedern flach am
Boden lag.
    Die sengende Sonnenhitze hatte ihm den Garaus gemacht. Das
weiße Fell am Kopf und im Nacken war fast völlig
verschwunden. Das Fleisch war an den Knochen verschmort. Streuner sah
die Konturen des Schädels, der filigranen Handknochen, der
Füße und des Beckens. Die nackte Haut hatte sich purpurn
und grau verfärbt und war mit großen Blasen und Streifen
überzogen. Die Lippen waren zu dünnen Strichen aus
schwarzem Gewebe geschrumpft, sodass die Zähne und der rissige
Gaumen zu sehen waren. Der Rest des Gesichts war ebenfalls schwarz
und vertrocknet, als ob es verbrannt wäre. Das Fleisch um die
Nase war verschrumpelt, sodass die kleinen, seitwärts
gerichteten Nasenlöcher gedehnt wurden und die schwarze
Innenseite der Nase nach außen gestülpt wurde. Die Lider
waren auch geschrumpft, wodurch die Augen unablässig in die
Sonne starrten. Die Bindehaut, die die Augen umspannte, hatte sich
pechschwarz verfärbt. Bei der vergeblichen Suche nach Nahrung
hatte er an der Rinde gekratzt und Hände und Füße
aufgeschnitten. Aber es war kein Blut zu sehen; die Schnitte waren
wie Kratzer in gegerbtem Leder.
    Aber er war noch bei Bewusstsein und stieß raue, leise
Schreie aus. Dann drehte er leicht den Kopf und spreizte die Finger
der kräftigeren linken Hand.
    Ohne Nahrung und im Bestreben, die lebenswichtigen Systeme so lang
wie möglich am Laufen zu halten, hatte Linkshänders
Körper sich selbst verzehrt. Als das Fett aufgebraucht war,
wurden die Muskeln angegriffen. Dadurch waren wiederum die inneren
Organe beschädigt worden, die schließlich den Dienst
einstellten.
    Doch in diesen letzten Momenten verspürte Linkshänder
keinen Schmerz. Sogar das Hunger- und Durstgefühl war
verschwunden.
    Streuner schaute benommen und verwirrt zu. Es war, als ob sie

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