Evolution
waren.
Die Kontinente – Bruchstücke des alten Superkontinents,
der sich noch immer in Auflösung befand – waren jedoch
immer weiter auseinandergedriftet. Antarktika hatte sich von den
anderen Teilen des südlichen Pangäa getrennt und bald so
weit von ihnen entfernt, dass keine Landbrücken und
Floßpassagen mehr möglich waren. Und während die Welt
sich vom Einschlag erholte, schlugen die Flora und Fauna von
Antarktika eine einzigartige Entwicklung ein. Hier ging das uralte
Spiel Dinosaurier gegen Säugetier in die Verlängerung
– und hier mussten die Säugetiere wegen der Übermacht
der Dinosaurier und dem strengen Regiment von Väterchen Frost
noch immer in den erniedrigenden Nischen der Kreidezeit
ausharren.
Doch dann war Antarktika am Südpol zur Ruhe gekommen, und die
Eiskappe hatte sich langsam ausgebreitet.
Die Tage wurden immer kürzer, und die blutrote Sonne tauchte
nur kurz überm Horizont auf. Der Boden gefror. Viele
Pflanzenarten starben ab, und die Sporen warteten auf die
Rückkehr der kurzen Sommerwärme.
Es fiel kaum Schnee. Streng genommen war der Kontinent
großenteils eine Halbwüste: Das bisschen, was an Schnee
fiel, kam als harte kristalline Flocken, die sich wie Gestein am
Boden ablagerten, bis der Wind sie zu Bänken und Verwehungen
zusammen trieb.
Der Schnee war trotz der geringen Menge lebenswichtig für die
Höhlengräber.
Diejenigen, die den Sommer und Herbst überlebt hatten, gruben
sich in die Schneeverwehungen ein und legten weit verzweigte
Tunnelsysteme unter den verharschten oberen Schichten an. Die Tunnel
waren Städte mit einem feuchten, milden Klima, deren Wände
vom Durchgang vieler kleiner, warmer Körper gehärtet worden
waren. Die Luft war vom Geruch warmen feuchten Fells erfüllt.
Zwar war es in den Höhlen nicht eben warm, aber die Temperatur
fiel auch nie unter den Gefrierpunkt.
Draußen flatterten Auroras durch den sternenklaren
Winterhimmel.
Die Leaellynasaura, die Graben die Eier gestohlen hatte,
gehörte zu einem überwiegend aus Geschwistern bestehenden
Rudel. Sie hatten in einer Gruppe gejagt, die sich um ein
dominierendes Brut-Paar geschart hatte. Ehe das Leaellynasaura-Rudel
im Winter in die Kaltblütler-Starre fiel, drängte es sich
zu einem wärmenden Haufen zusammen.
Die Leaellynasaurae stammten von kleinen, flinken Pflanzen
fressenden Dinosauriern ab, die einst in großer Zahl im
antarktischen Wald ausgeschwärmt waren. Damals hatten die
Leaellynasaurae die Größe eines ausgewachsenen Menschen
erreicht. Sie hatten große Augen, die gut an die Dunkelheit der
polaren Wälder angepasst waren. Mit der großen Kälte
waren die Leaellynasaurae aber klein und dick geworden und hatten
sich als Isolierung ein schuppiges Gefieder zugelegt.
Und im Lauf der Jahrmillionen hatten sie auch ihre Vorliebe
für Fleisch entdeckt, das mehr Kalorien lieferte.
Als die Temperatur weiter sank, fielen die Mitglieder des Rudels
in Bewusstlosigkeit. Der Stoffwechsel wurde drastisch
heruntergefahren und war gerade noch so aktiv, dass sie nicht
erfroren. Das war eine uralte Strategie, die durch Jahrmillionen des
Lebens in diesen Polarregionen entwickelt worden war und sich immer
bewährt hatte.
Diesmal aber nicht. Dies war nämlich der kälteste Winter
aller Zeiten. Und mitten im dicksten Winter wurde die Gruppe der
Leaellynasaurae von einem Sturm überrascht. Der heftige Wind
entzog ihnen zu viel Körperwärme. Eis bildete sich im
Fleisch der Leaellynasaurae und zerstörte die Struktur der
Zellen. Langsam senkten Erfrierungen sich wie kalte Dolche in die
kleinen Körper.
Aber die Leaellynasaurae verspürten keinen Schmerz. Sie waren
in einen bleiernen, traumlosen Reptilien-Schlaf versunken, der tiefer
war als alles, was ein Säugetier je erleben würde, und er
leitete unmerklich in den Tod über.
Jedes Jahr wurden die Sommer kürzer und der Wintereinbruch
härter. Jedes Frühjahr schob sich die Eiskappe in der Mitte
des Kontinents, einem lebensfeindlichen Ort, ein Stück weiter
zum Rand vor. Einst hatte es hier Bäume gegeben: Koniferen,
Baumfarne und die urtümlichen Podocarps mit schweren
Fruchtständen an der Basis. Es war ein Wald gewesen, in dem Noth
sich zu Hause gefühlt hätte. Doch nun existierten diese
Bäume, die längst von der Kälte gefällt worden
waren, nur noch als Kohlenflöze tief unter Grabens
Füßen. Es war schon viele Millionen Jahre her, seit
Grabens Vorfahren auf Bäume geklettert waren.
Die Primaten von Antarktika hatten sich an die
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