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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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des Meeres schwebten.
    Selbst hier, an den Extremen der Erde, wimmelte das Meer von
Leben, wie es seit Urzeiten gewesen war. Aber es war nichts für
Graben dabei.
    In dem Maß, wie die globale Abkühlung andauerte, wurde
die Umklammerung des Eises mit jedem Jahr stärker. Die einmalige
Ökologie aus Tieren und Pflanzen, die auf diesem riesigen
isolierten Floß gefangen war, hatte keine
Ausweichmöglichkeiten. Und die Evolution vermochte den
letztendlichen Sieg des Eises nicht aufzuhalten.
    Es war ein grausames Auslöschungs-Ereignis, das vor den
Blicken der Welt verborgen hier über Millionen Jahre sich
hinzog. Eine komplette Biozönose starb den Kältetod.
Nachdem die Tiere und Pflanzen alle verschwunden waren, dehnte die
gewaltige Eiskappe im Herzen des Kontinents sich immer weiter aus und
schickte Gletscher aus, die sich einen Weg durchs Gestein
frästen, bis die leblose Abstraktion des Eises das Meer traf.
Obwohl die tief begrabenen Fossilien und Kohlenflöze der Urzeit
überdauern würden, blieb keine Spur zurück, aus der
man auf die Existenz von Grabens Tundra-Welt und die einzigartigen
Lebensformen, die sie bevölkert hatten, zu schließen
vermocht hätte.
    Mutlos wandte sie sich ab und lief auf der Suche nach Nahrung
über den gefrorenen Boden.

 
KAPITEL 8

BRUCHSTÜCKE
     
    Nordafrikanische Küste,
vor ca. 5 Millionen Jahren

     
I
     
     
    Im ersten Licht der Morgenröte wachte Capo in seinem Nest in
der Baumkrone auf. Er gähnte herzhaft, wobei die dicken
Gaumenzäpfchen zutage traten, und streckte die langen pelzigen
Glieder. Dann nahm er die Hoden in die Hand und kratzte sie
genüsslich.
    Capo hatte gewisse Ähnlichkeit mit einem Schimpansen –
aber es gab noch keine Schimpansen auf der Welt. Aber er war immerhin
schon ein Menschenaffe. In den langen Jahren seit Streuners Tod
hatten die aufblühenden Primaten-Familien sich diversifiziert,
und Capos Linie hatte sich vor ungefähr zwanzig Millionen Jahren
von den Affen abgespalten. Und doch hatten fünf Millionen Jahre
vor dem Aufstieg der Menschen die Menschenaffen ihre beste Zeit schon
hinter sich.
    Capo schielte in den Himmel. Er war graublau und wolkenlos. Es
würde wieder ein langer, heißer und sonniger Tag
werden.
    Und ein guter Tag. Er rieb sich nachdenklich den Penis. Er hatte
die allmorgendliche stramme Erektion. Ein paar der aufmüpfigsten
rangniederen Männchen waren vor wenigen Tagen in der Tiefe des
Waldes verschwunden. Es dürfte Wochen dauern, bis sie
wiederkamen; Wochen relativer Ruhe und Ordnung. Capo hätte also
leichtes Spiel.
    In der morgendlichen Stille trugen Rufe weit. Wie er so in
Gedanken versunken lag, hörte er ein entferntes Brüllen wie
das Grollen eines riesigen verwundeten Tiers. Es kam aus westlicher
Richtung. Er lauschte für eine Weile, und ihm sträubten
sich die Haare bei der Majestät des nicht enden wollenden,
verwirrenden Donnerhalls. Der Laut kündete von enormer Macht.
Aber der Verursacher war nicht präsent und nicht zu sehen. Der
Laut war sein Leben lang im Hintergrund gewesen, unveränderlich
und unbegreiflich – und weit genug entfernt, um ihn nicht zu
kümmern.
    Er verspürte ein nagendes Unbehagen, aber nicht etwa wegen
des Geräuschs. Es war vielmehr eine vage Besorgnis, die ihn in
solchen nachdenklichen Momenten überkam.
    Capo war über vierzig Jahre alt. Am Körper trug er die
Narben vieler Kämpfe und kahle Stellen von der endlosen
Fellpflege. Er war alt genug und intelligent genug, um sich an viele
Jahreszeiten zu erinnern, aber nicht etwa in einer linearen Abfolge,
sondern in Streiflichtern und Splittern – wie lebendige Szenen,
die man aus einem Film herausgeschnitten und zufällig
aneinandergereiht hatte. Und auf einer tiefen Ebene wusste er, dass
die Welt nicht mehr so war, wie sie in der Vergangenheit gewesen war.
Die Dinge änderten sich, und nicht unbedingt zum Besseren.
    Aber er vermochte daran nichts zu ändern.
    Träge rollte er sich auf den Bauch. Das Nest war nur ein
Gewirr aus dünnen geflochtenen Ästen, die durch sein
Gewicht fixiert wurden. Durch die Lücken erkannte er die im Baum
verstreute Sippe. Die Primaten nisteten wie Vögel. Mit einem
leisen Grunzen entleerte er die Blase. Der Urin schoss
gießkannenartig aus dem noch halb erigierten Penis und regnete
auf den Baum hinab.
    Er spritzte auf Blatt, eins der hochrangigen Weibchen, das auf dem
Rücken geschlafen hatte. Ihr Kind klammerte sich am Bauchfell
fest. Sie schreckte auf, wischte sich Urin aus dem Gesicht und gab
ihren

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