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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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für einen ganz bestimmten Zweck. Es kam ihm nie in den Sinn,
dass man eine Termiten-Angelrute auch als Zahnstocher verwenden
könne. Wenn er einmal ein funktionierendes Design gefunden
hatte, verbesserte er die Werkzeuge nicht mehr. Und selbst wenn er
– durch einen unwahrscheinlichen Zufall – im Lauf seines
Lebens ein neues Werkzeug entwickelt hätte, dann hätte
dieses Werkzeug, und wäre es noch so gut gewesen, sich nur sehr
langsam in seiner Gemeinschaft durchgesetzt. Es hätte vielleicht
sogar Generationen gedauert. Die Lehre, also das Konzept, dass man
den Bewusstseins-Inhalt von jemand anders durch Ausprobieren und
Vorführung zu formen vermochte, musste erst noch entdeckt
werden.
    Deshalb war Capos Werkzeugsatz extrem beschränkt und sehr
konservativ. Schon vor fünf Millionen Jahren hatten Capos
Vorfahren, Geschöpfe einer anderen Art, Werkzeuge benutzt, die
seinen kaum nachstanden. Er war sich nicht einmal der Tatsache
bewusst, dass er überhaupt Werkzeug benutzte.
    Und doch war Capo, der fleißig arbeitete, der wusste, was er
wollte, der das geeignete Material auswählte, um sein Ziel zu
erreichen und der die Welt um sich herum neu erschuf und formte, der
bislang Klügste in der langen Ahnenreihe seit Purga. Es war, als
ob ein Feuer in seinen Augen, im Bewusstsein und in den Händen
schwelte – ein Feuer, das bald hell auflodern würde.
     
    Als die Sonne hinterm Horizont verschwand und es dunkel wurde im
Tal, drängten die Menschenaffen sich zusammen. Missmutig
stießen, schubsten und schlugen sie sich und schrien sich
gegenseitig an. Sie gehörten nicht hierher. Sie hatten keine
Waffen, mit denen sie sich zu verteidigen und kein Feuer, mit dem sie
die Tiere abzuschrecken vermochten. Sie hatten nicht einmal den
Instinkt, sich ab Sonnenuntergang, wo die Stunde der Räuber
schlug, ruhig zu verhalten. Alles, was sie hatten, war der
gegenseitige Schutz und die große Anzahl – die Hoffnung,
dass es einen anderen erwischte und nicht mich.
    Capo vergewisserte sich, dass er im Mittelpunkt der Horde war,
umgeben von den kräftigen Leibern der anderen Erwachsenen.
    Das junge Männchen namens Elefant hatte keinen allzu
großen Selbsterhaltungstrieb. Und seine Mutter, die irgendwo in
der Menge steckte, war zu sehr mit ihrem jüngsten Kind, einem
Weibchen beschäftigt. Elefant spielte im Moment eine Nebenrolle.
Er hatte das Pech, im falschen Alter zu sein: Er war schon zu alt, um
von den Erwachsenen beschützt zu werden und noch zu jung, um
sich einen Platz in der sicheren Mitte zu erkämpfen.
    Er wurde an den Rand der Horde gedrängt und versuchte sich
dort einzurichten. Er fand einen Platz in der Nähe von Finger,
einem Cousin. Im Gegensatz zu den weichen Nestern, an die er
gewöhnt war, war der Boden hier hart und trocken; dennoch gelang
es ihm, eine flache Mulde auszuheben. Er schmiegte sich mit dem Bauch
an Fingers Rücken.
    Er war noch so jung, dass er sich nicht einmal der Gefahr bewusst
war, in der er schwebte. Er fiel in einen unruhigen Schlaf.
    Später, es war schon dunkel, wurde er durch ein leises
Zwicken an der Schulter geweckt. Es war fast sanft, als ob er
gekämmt würde. Er regte sich etwas und kuschelte sich noch
enger an Fingers Rücken. Doch dann spürte er einen
heißen Atem auf der Wange, hörte ein schnurrendes Grollen
wie ein Felsbrocken, der einen Abhang hinunterkullerte, und roch
einen Atem, der nach Fleisch stank. Er war sofort hellwach. Das Herz
schlug ihm bis zum Hals. Er schrie auf und krümmte sich.
    Die Schulter war aufgerissen und schmerzte. Er wurde
rückwärts geschleift wie ein Ast, der von einem Baum
abgerissen wurde. Er erhaschte einen letzten Blick auf die Horde.
Alle waren aufgewacht, schrien panisch und fielen bei ihren
Fluchtversuchen übereinander. Dann wirbelte der Sternenhimmel
über ihm, und er wurde so hart auf den Boden geschleudert, dass
ihm die Luft aus der Lunge gepresst wurde.
    Eine schlanke Gestalt, deren Silhouette sich gegen den
blau-schwarzen Himmel abzeichnete, beugte sich über ihn. Er
spürte, wie eine muskulöse Brust sich fast liebevoll an ihn
schmiegte. Da waren ein Fell mit einem Brandgeruch, ein nach Blut
riechender Atem und zwei gelbe Augen, die über ihm
leuchteten.
    Dann wurde er gebissen – in die Beine und die Niere. Es waren
scharfe, fast skalpellartige Stiche, und er wand sich unter dem
feurigen Schmerz. Er wälzte sich kreischend herum und versuchte
zu fliehen. Aber die Beine versagten den Dienst, denn die Sehnen
waren durchtrennt. Nun

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