Evolution
großen
Tiere waren eher selten, doch dafür flohen jede Menge kleinerer
Tiere vor dem anrückenden Capo: Eidechsen, Nagetiere und sogar
primitive Kaninchen.
Die etwa zwanzig Mitglieder der Sippe, die sich ihm angeschlossen
hatten, quälten sich hinter ihm die Steigung hinauf. Sie kamen
nur langsam voran, weil sie immer wieder Rast machten, um zu essen,
zu trinken, sich zu kämmen, zu spielen und sich zu streiten.
Diese Wanderung glich eher einem gemütlichen Spaziergang von
Kindern, die sich leicht ablenken ließen. Aber es lag auch
nicht in Capos Absicht, sie zur Eile zu treiben. Sie konnten halt
nicht aus ihrer Haut.
Capo erklomm einen flachen, erodierten Hügel. Von dort
ließ er den Blick über die feuchte, glitzernde Landschaft
mit der Waldinsel und den äsenden Pflanzenfressern schweifen.
Doch als er dann nach Süden schaute, sah er die große
Trockenheit vor ihnen liegen. Es war ein breites Hochtal mit
vereinzelten dürren Bäumen und spärlicher Vegetation.
Die Trockenheit war durch einen geologischen Unfall bedingt, der das
Tal in einer großen unterirdischen Felsschüssel ohne
Quellen eingebettet hatte und vom Regen abschottete.
Beim Anblick dieser endlosen Weite wollte er schier verzagen. Aber
er musste sie dennoch durchqueren.
Und weil er hier nicht mehr im Wald war, der den Schall
dämpfte, hörte er auch wieder dieses mysteriöse
Brüllen aus dem Westen. Das entfernte Geräusch klang wie
der stöhnende Schrei eines riesigen, gequälten und zornigen
Tiers oder wie die donnernden Hufe einer riesigen Herde
Pflanzenfresser. Als er jedoch gen Westen schaute, sah er weder
Staubwolken noch einen Strom schwarzer Tierleiber. Da war nur das
Brüllen, das ihn sein Leben lang begleitet hatte.
Er schickte sich an, den felsigen Abhang in südlicher
Richtung hinab zu steigen.
Der Boden wurde kahl. Es klammerten sich zwar noch immer
Bäume ans Leben und trieben spiralige Wurzeln in Bodenspalten.
Doch diese Bäumchen waren verkrüppelt und hatten stachlige
Blätter, um ihr Wasser zu schützen. Er blieb unter einem
dieser Bäume stehen. Die Äste und das Laub spendeten ihm
praktisch keinen Schatten. Der Baum trug auch keine Früchte, und
die Blätter, die er abzupfte, lagen ihm scharf und trocken im
Mund. Dann versuchte er, eine kleine mausartige Kreatur mit langen
Hinterbeinen zu fangen; bei der Vorstellung, in diesen weichen
feuchten Körper zu beißen und die kleinen Knochen zu
zermalmen, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Auf diesem steinigen
Boden verhielt er sich jedoch ungeschickt und machte Lärm,
sodass das Mauswesen ihm leicht entkam.
Nun änderte der Untergrund sich wieder und verwandelte sich
in einen Abhang aus Geröll. Er breitete sich vor ihm aus und
führte wie eine Straße in die Tiefen des trockenen Tals.
Das Fortkommen wurde immer beschwerlicher; Capo geriet auf dem
Geröll ins Rutschen und stürzte. Überhitzt, durstig,
hungrig und verängstigt schrie er seinen Protest heraus, warf
mit Geröll um sich, trampelte darauf herum und wirbelte es mit
den Füßen auf. Aber das Land ließ sich von Capos
Mätzchen nicht beeindrucken.
Derweil beobachtete das Chasma die Horde Anthropoiden, die sich
den unebenen, tückischen Abhang hinunterquälte.
Solche Kreaturen hatte sie noch nie gesehen. Mit dem kalten
Kalkül eines Räubers stellte sie Berechnungen
bezüglich Schnelligkeit, Stärke und Fleischausbeute der
potentiellen Beute an und kategorisierte sie. Hier war einer, der
verwundet schien und leicht hinkte; hier war ein Junges, das sich an
die Brust der Mutter klammerte; hier war ein Halbwüchsiger, der
sich leichtsinnigerweise von der Horde entfernte.
Dieses Chasmaporthetes war eigentlich eine Art Hyäne. Dennoch
sah die langbeinige, schlanke Gestalt eher wie ein Leopard aus, auch
wenn sie nicht ganz so geschmeidig und schnell war wie die richtigen
Katzen; ihre Art musste sich an die Bedingungen des im Entstehen
begriffenen Graslands anpassen. Doch in diesem öden Tal hatte
sie ein großes Revier. Sie war der
›Räuberhauptmann‹ und gut ausgestattet für ihr
schreckliches Werk.
Für sie waren die Menschenaffen eine neue Beute in der
Savanne. Sie wartete. Die Augen glühten wie eingefangene
Sterne.
Schließlich gab Capo erschöpft auf und ließ sich
auf den Boden fallen. Einer nach dem andern schlossen die Mitglieder
seiner Horde zu ihm auf. Als sie schließlich alle vereinigt
waren, ging die Sonne bereits unter. Sie setzte den Himmel in Brand
und warf lange, dunkle Schatten auf den Boden
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