Evolution
dieser
geröllübersäten Schüssel.
Eine Art dumpfer Unentschiedenheit tobte in Capo. Sie durften
nicht hier im freien Gelände bleiben; sein Körper sehnte
sich danach, auf einen Baum zu klettern und aus den Ästen ein
behagliches, warmes und sicheres Nest zu bauen. Jedoch gab es hier
weder Bäume noch Sicherheit. Auf der anderen Seite konnten sie
das Tal auch nicht im Dunklen durchqueren. Und sie hatten alle Hunger
und Durst und waren erschöpft.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Also tat er gar nichts.
Die Horde zerstreute sich. Jeder folgte seinen eigenen Instinkten.
Finger hob einen runden faustgroßen Stein auf, vielleicht in
der Hoffnung, ihn irgendwann als Nussknacker zu verwenden. Doch dann
kroch ein Skorpion unter dem Stein hervor, und Finger floh mit einem
Schrei.
Wedel saß allein mit dem Rücken zum Rest der Horde und
war in irgendeine Beschäftigung versunken. Capo schlich sich so
leise wie möglich auf dem Geröll an.
Wedel hatte einen Termitenhügel gefunden. Er saß davor
und stocherte unbeholfen mit Stöcken darin herum. Bei Capos
Anblick kauerte er sich kreischend zusammen. Capo versetzte ihm die
obligatorischen festen Schläge auf Kopf und Schultern, mit denen
Wedel ohnehin schon gerechnet hatte. Er hätte seinen Fund den
anderen nämlich durch einen Ruf anzeigen sollen.
Capo riss einen Strauch auseinander. Die Zweige waren dürr
und krumm, und als er einen Zweig entlaubte, indem er ihn durch den
Mund zog, rissen die harten stachligen Blätter ihm fast die
Lippen auf. Aber das musste genügen. Er setzte sich neben Wedel.
Dann steckte er den Zweig in einen Riss im Termitenhügel und
schraubte ihn tief hinein. Ideal war das nicht; der Stock war zu kurz
und krumm, um ein optimales Ergebnis zu erzielen, aber etwas anderes
hatte er nicht. Er drehte den Stock und wartete geduldig. Dann zog er
ihn Zentimeter um Zentimeter heraus. Am Stock klebten
Termiten-Soldaten, die ausgeschwärmt waren, um die Kolonie vor
diesem Eindringling zu schützen. Capo achtete darauf, dass er
diese Fracht nicht abstreifte. Dann zog er sich den Stecken durch den
Mund und genoss einen Mundvoll süßes feuchtes Fleisch.
Als die anderen sahen, was dort vorging, scharten sie sich um
Capo, und die Älteren fertigten auch Stöcke zum Stochern
an. Alsbald etablierte sich eine Hackordnung, die durch Tritte,
Schläge, Schreie und ›taktisches‹ Kämmen
gefestigt wurde. Die ranghöheren Männchen und Weibchen
versammelten sich gleichberechtigt um den Hügel, während
die Jungen, die ohnehin nicht begriffen, was hier los war,
ausgeschlossen wurden. Capo kümmerte das aber nicht. Er
konzentrierte sich nur darauf, die Stellung am Hügel zu halten
und labte sich an den Termiten.
Die Termiten waren uralte Geschöpfe, deren komplexe
Gesellschaft das Ergebnis einer eigenen langen Entwicklungsgeschichte
war. Dieser Hügel war schon alt und aus Lehm errichtet worden,
der sich hier abgelagert hatte, als vereinzelte Wolkenbrüche das
Tal zeitweise überflutet hatten. Der steinharte Panzer
schützte die Termiten vor den Zudringlichkeiten der meisten
Tiere – nicht aber vor diesen Menschenaffen.
Capos Werkzeugeinsatz – die Termiten-Angelruten, die
Hammer-Steine, die Blätter, die er zu Schwämmen zerkaute,
um Wasser aus Hohlräumen zu ziehen, und sogar die kleinen
zahnstocherartigen Stöckchen, mit denen er manchmal Zahnpflege
betrieb – schien auf einem hohen Niveau zu erfolgen. Er wusste,
was er erreichen wollte, und er wusste auch, welche Art Werkzeug er
brauchte, um es zu erreichen. Er merkte sich den Lagerort der
Lieblingswerkzeuge wie die Hammer-Steine und entschied, welches
Werkzeug für welchen Zweck am besten geeignet war – zum
Beispiel musste er in Abhängigkeit von der Schlaghöhe das
Gewicht des Hammers kalkulieren. Und er begnügte sich nicht
damit, einen handlichen Stein zu benutzen, den er irgendwo gefunden
hatte; er änderte die Werkzeuge auch, wie diese
Termiten-Angelrute.
Dennoch war er nicht mit einem menschlichen Handwerker zu
vergleichen. Die Änderungen, die er vornahm, waren gering: Die
nach Gebrauch weggeworfenen Werkzeuge wären nur schwer von den
Erzeugnissen der unbeseelten Welt zu unterscheiden gewesen. Die
Handlungen, mit denen er die Werkzeuge fertigte, entstammten dem
normalen Repertoire wie Beißen, Entlauben und Steine werfen.
Niemand hatte wirklich neue Abläufe erfunden, wie das mit
Lehm werfen eines Töpfers oder die Feinmotorik eines
Holzschnitzers. Er benutzte ein Werkzeug – und nur eins
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