Evolution
genmodellierten Kinder fröhlich
mit ihrer eleganten Mutter. Joan bemerkte, dass sie die silbernen
Ohrhörer noch in den Ohren stecken hatten. Es war, als ob sie in
einem Neonnebel umherliefen.
Joan erinnerte sich zerknirscht an ihren beiläufigen
Ausspruch, dass Bex schon ein ausgesprochener Pechvogel sein
müsste, wenn Rabaul just in dem Moment ausbrach, wenn sie in der
Nähe war. Hier draußen auf dem schwankenden Boden wurde
sie Lügen gestraft. Aber vielleicht würde der Berg sich
auch wieder beruhigen. Wie dem auch sei, die meisten Leute dachten
gar nicht darüber nach. Es war eine überfüllte Welt
mit vielen Problemen, die akuter waren als ein grummelnder
Vulkan.
Der Weg zum Flughafengebäude schien endlos. Es war ein
trister Schuppen, trotz der Firmenlogos, mit denen jede freie
Fläche zugepflastert war. Die intervallartigen
Erschütterungen des Bodens waren eine urzeitliche Störung,
und das laute Wimmern der Düsentriebwerke klang wie das
Stöhnen enttäuschter Tiere.
Und dann hörte Joan ein fernes Bersten, als ob feuchtes Holz
in ein Feuer geworfen würde. »Shit. War das etwa ein
Schuss?«
»Da stehen Demonstranten am Flughafenzaun«, sagte Alyce
Sigurdardottir. »Ich habe sie schon beim Landeanflug entdeckt.
Es ist eine große Zusammenrottung, wie damals bei den
Atomkraftgegnern.«
»Nur für uns?«
Alyce lächelte. »Man kann keine große Konferenz
über die Globalisierung veranstalten, ohne dass Demonstranten
sich ein Stelldichein geben. Aber was soll’s, das hat Tradition;
sie machen bei diesen Konferenzen schon so lang Rabatz, dass die
Veteranen bereits Wiedersehentreffen veranstalten. Sie sollten sich
geschmeichelt fühlen, dass die Sie so ernst nehmen.«
»Dann werden wir uns noch mehr anstrengen müssen«,
sagte Joan grimmig, »sie von unsrem neuen Angebot zu
überzeugen… ich habe den Eindruck, dass Sie Alison Scott
nicht mögen.«
»Scotts ganzes Leben und ihre Arbeit ist Show-Business. Sogar
ihre Kinder hat sie für ihre kommerziellen Zwecke eingespannt
– nein, sie hat sie eigens dafür erschaffen. Sehen Sie sie
sich doch nur mal an.«
Joan zuckte die Achseln. »Aber Sie können es ihr doch
nicht zum Vorwurf machen, dass sie ihre Kinder genetisch modelliert
hat.« Sie strich sich über den Bauch. »Ich glaube zwar
nicht, dass ich das für den Junior hier drin wollte. Aber Eltern
haben immer schon das Beste für ihre Kinder gewollt. Die beste
Schule, den Speer mit der besten Steinspitze, den besten Ast im
Feigenbaum.«
Das rang Alyce ein Lächeln ab. »Gegen Genmodellierung in
einem gewissen Maß wäre nichts zu sagen, wenn alle es sich leisten könnten. Zum Beispiel sind die
beschränkten Selbstheilungskräfte unseres Körpers
keine physiologische Unabdingbarkeit. Wieso sollten wir amputierte
Gliedmaßen nicht wie Seesterne nachwachsen lassen? Wieso
sollten wir nicht mehr Gebisse haben als nur zwei? Oder wieso
tauschen wir verschlissene und arthritische Gelenke nicht einfach
aus?«
»Aber glauben Sie wirklich, dass Alison Scott ihr Geld damit
gemacht hat? Schauen Sie sich ihre Kinder an, das Haar, die
Zähne und die Haut. Die ›inneren Werte‹ sind
unsichtbar. Wozu soll man viel Geld ausgeben, wenn man seine
Errungenschaften nicht zur Schau stellen kann? Neunzig Prozent des Geldes, das derzeit in Genmodellierung investiert wird, dient
dem Aufpolieren der Fassade. Die armen Kinder von Scott sind nichts
anderes als mobile Reklametafeln für ihren Reichtum und ihre
Macht. Das ist wirklich ein Ausbund an Dekadenz.«
Joan legte Alyce den Arm um die Hüfte. »Das kann schon
sein. Aber wir müssen für vieles offen sein. Wir brauchen
Scotts Beitrag genauso sehr, wie wir Ihren brauchen… Wissen Sie,
ich habe das Gefühl, einen Felsklotz im Bauch zu tragen«,
sagte sie atemlos.
Alyce verzog das Gesicht. »Da erzählen Sie mir nichts
Neues. Ich habe selbst drei Kinder. Aber ich bin zu ihrer Geburt
jedes Mal nach Island zurückgegangen. Schlechtes Timing,
hm?«
Joan lächelte. »Ein Unfall. Die Konferenz ist schon seit
zwei Jahren in der Planung. Was das Baby betrifft…«
»Die Natur nimmt wie immer ihren Verlauf, trotz unsrer
nichtigen Sorgen. Und der Vater?«
Der Vater, auch ein Paläontologe, war zwischen die Fronten
eines sinnlosen Scharmützels geraten, das nach dem Zusammenbruch
des kenianischen Staates stattgefunden hatte. Er hatte
Lagerstätten mit Hominiden-Fossilien vor Dieben zu schützen
versucht, aber ein Banditen-Anführer hatte geglaubt, er
würde Silber, Diamanten
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