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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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vor der
Jahrhundertwende war es einer Gruppe von Wissenschaftlern gelungen,
das Wachstum von Zähnen in einem Hühnerschnabel
›einzuschalten‹. Die alten Baupläne sind noch
vorhanden, nur für andere Zwecke entfremdet worden; alles, was
man tun muss, ist nach dem richtigen molekularen Schalter zu
suchen…«
    Joan hob die Augenbrauen. »Meine Güte. Man könnte
glatt meinen, es sei ihre Konferenz.«
    »Die Frau ist im Show-Business tätig«, sagte Alyce
mit kalter Geringschätzung. »Nicht mehr und nicht
weniger.«
    Mit Elan tippte Alison Scott auf die Kiste neben sich. Eine Wand
wurde transparent. Der dicht gedrängten Menge entrang sich ein
Keuchen – und dann ertönte ein gedämpfter Ruf.
»Bitte bedenken Sie«, sagte Scott, »dass das, was Sie
hier sehen, eine genetische Rekonstruktion ist – nicht mehr. Die
Einzelheiten wie Hautfarbe und Verhalten hatte man willkürlich
festlegen müssen…«
    »Mein Gott«, sagte Alyce.
    Die Kreatur in der Kiste sah auf den ersten Blick wie ein
Schimpanse aus. Das nicht mehr als einen Meter große
Geschöpf war ein Weibchen; die Brüste und Genitalien waren
unverkennbar. Und sie beherrschte den aufrechten Gang. Joan erkannte
das sofort an der besonderen Geometrie der seitlich ausgestellten
Hüfte. Im Moment ging sie jedoch nirgends hin. Sie hatte sich in
eine Ecke gekauert und die Beine an die Brust gezogen.
    »Ich sagte Ihnen doch, Dr. Useb, dass Sie nicht im Staub nach
Knochen buddeln müssen«, sagte Bex. »Nun können
Sie sich mit Ihren Vorfahren treffen.«
    Wider Willen war Joan fasziniert. Ja, sagte sie sich: Ich
begegne meinen Vorfahren, den haarigen Großmüttern.
Dafür habe ich mein Leben lang gearbeitet. Alison Scott versteht
das offensichtlich. Aber ist diese arme Schimäre überhaupt
real? Und wenn nicht – wie sahen sie wirklich aus?
    Bex fasste Alyce impulsiv an der Hand. »Sehen Sie?« Die
roten Augen leuchteten. »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie sich
wegen des Aussterbens der Bonobos keine Sorgen machen
müssen.«
    Alyce seufzte. »Aber Kind, wenn wir schon keinen Platz
für die Schimpansen haben, wo sollen wir dann einen Platz
für sie finden?«
    Der geklonte Australopithecine fletschte vor Entsetzen in einem
panischen Grinsen die Zähne.

 
KAPITEL 9

DIE LÄUFER
     
    Zentral-Kenia, Ostafrika,
vor ca. 1,5 Millionen Jahren

     
I
     
     
    Sie liebte es zu rennen, mehr als alles andere in ihrem Leben. Das
war es, wozu ihr Körper gemacht war.
    Bei einem Sprint schaffte sie hundert Meter in sechs oder sieben
Sekunden. Bei einer langsameren Gangart bewältigte sie eine
Meile in drei Minuten. Sie konnte rennen. Wenn sie rannte,
brannte der Atem in der Lunge, und die Muskeln der langen Beine und
pumpenden Arme schienen zu glühen. Sie liebte das stechende
Gefühl des Staubs, der auf der nackten, mit Schweiß
überzogenen Haut klebte und den Ozon-Geruch des von der Sonne
verbrannten, trockenen Landes.
     
    Es war schon spät in der Trockenzeit. Die Mittagshitze
lastete schwer auf der Savanne, und die im Zenit stehende Sonne
erfüllte die Szenerie mit einer lichten Symmetrie. Das
spärliche gelbe Gras zwischen den sanften vulkanischen
Hügeln war überall von den großen
Pflanzenfresser-Herden abgegrast und zertrampelt. Ihre Wanderwege,
die sie kreuzte, waren wie Straßen, die Weiden und
Wasserläufe miteinander verbanden. In diesem Zeitalter
prägten die großen Grasfresser die Landschaft; von den
vielen Arten von Menschen in der Welt hatte noch keine diese Rolle
übernommen.
    In der Mittagshitze versammelten die Grasfresser sich im Schatten
oder lagen einfach im Staub. Sie sah statische Herden
elefantenartiger Tiere, die wie graue Wolken in der Ferne anmuteten.
Plumpe, langbeinige Straußenvögel pickten lustlos auf dem
Erdboden. Schlanke Räuber schliefen bei ihren Jungen. Sogar die
Aasfresser, die kreisenden Vögel und die flinken Hyänen
ruhten sich von ihrem grässlichen Werk aus. Nichts regte sich
außer dem Staub, den sie aufwirbelte, nichts außer ihrem
Schatten, der zu einem dunklen Fleck unter ihr geschrumpft war.
    Völlig in ihren Körper und die Welt versunken lief sie
ohne Plan und Ziel, lief mit einer Geschmeidigkeit und Schnelligkeit,
wie sie bisher keiner Primatenart zu Eigen gewesen war.
    Sie dachte nicht in menschlichen Kategorien. Sie war sich nichts
außer ihres Atems bewusst, der angenehmen schmerzenden Muskeln,
des Bauchs und des Lands, das unter ihren Füßen
dahinzufliegen schien. Dennoch sah dieses nackte Wesen aus wie

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