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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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der von einer
durchziehenden Deinotherium-Herde gründlich verwüstet
worden war. Diese urtümlichen Elefantenartigen hatten mit den
nach unten gerichteten Stoßzähnen und kurzen Rüsseln
die Bäume umgeknickt und zersplittert, den Boden zertrampelt und
die Wurzeln ausgerissen. Hominiden waren hier nicht die einzigen
Nahrungssucher: Warzenschweine und Buschschweine stießen
grunzend und quiekend die hässlichen Schnauzen in die
aufgewühlte Erde. Die Zerstörung war erst vor kurzem
erfolgt. Weit sah, wie große Käfer den frischen
Deinotherium-Dung vergruben, und Erdferkel und Honigdachse
wühlten auf der Suche nach den Käferlarven im Boden.
    Ein solcher Platz war eine ergiebige Nahrungsquelle. Eine gute
Strategie, in einem unbekannten Gebiet Nahrung zu finden, war die,
den Spuren anderer Tiere zu folgen, insbesondere
›destruktiver‹ Arten wie Elefanten und Schweinen. In dem
verwüsteten Wäldchen würde Weits Mutter Nahrung
finden, die sonst verborgen oder unzugänglich gewesen wäre.
Inmitten der gefällten Baumstämme fanden sich sogar Hebel,
Widerlager und Grabstöcke, um Wurzeln aus dem Boden zu
reißen, abgebrochene Äste, von denen man nur noch die
Früchte pflücken musste und Palmsplitter, um Mark zu
zapfen.
    Weits Mutter war eine ruhige, stolze Frau und sogar für ihre
Art groß gewachsen; auf sie hätte der Name Ruhig gepasst.
Sie hatte zwei Kinder bei sich; das schlafende Baby über der
Schulter und einen Sohn. Der Junge war halb so alt wie Weit, aber
schon fast so groß wie sie. Ein dürrer Junge, den Weit
sich als den Bengel vorstellte: frech, clever und unverschämt
erfolgreich, wenn es darum ging, sich der Zuwendung und
Großzügigkeit der Mutter zu versichern.
    Ruhigs Mutter, Weits Großmutter, war bei ihr. Sie war Mitte
Vierzig und schon zu steif, um noch eine große Hilfe bei der
Nahrungssuche zu sein. Aber sie unterstützte ihre Tochter, indem
sie ein Auge auf das jüngste Kind hatte. Kein Mensch hätte
sich gewundert, alte Leute in dieser Gruppe zu sehen; das wäre
nur allzu natürlich gewesen. Von den früheren
Primaten-Arten war jedoch keine alt geworden – nur wenige hatten
überhaupt über die fruchtbaren Jahre hinaus überlebt.
Wieso sollten ihre Körper sie am Leben erhalten, wenn sie keinen
Beitrag mehr zum Gen-Pool zu leisten vermochten? Doch nun war das
anders; bei Weits Art spielten auch alte Leute eine Rolle.
    Schnaufend und verstaubt erklomm Weit den Felsen. Er war nur eine
hundert Meter durchmessende Erhebung mit Büscheln zähen
Grases, ein paar Insekten und Eidechsen. Für die Leute war er
jedoch eine temporäre Heimatbasis, eine Insel relativer
Sicherheit in dieser offenen Savanne, diesem Meer voller Gefahren.
Auf dem Felsen besserten zwei Männer hölzerne Speere aus.
Sie wirkten abwesend und ließen die Blicke schweifen, als ob
die Hände selbständig arbeiteten. Ein paar der älteren
Kinder spielten und bereiteten sich auf diese Art aufs
Erwachsenwerden vor. Sie balgten sich, spielten Fangen und übten
schon einmal das Balzen. Zwei Sechsjährige spielten ›Onkel
Doktor‹ und fummelten sich gegenseitig an den Brustwarzen und
Bäuchen herum.
    Weit war kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen und in
dieser Gruppe die Einzige in ihrem Alter. Deshalb sonderte sie sich
von den anderen ab und bestieg den Gipfel dieses erodierten
Sandsteinfelsens. Sie fand ein Stück eines Antilopenkiefers, den
ein Aasfresser hier abgelegt hatte und der von hungrigen Mündern
und emsigen Insekten sauber abgenagt worden war. Sie zerschmetterte
den Knochen auf dem Stein und schabte mit einer scharfen Kante den
Schweiß und Schmutz von Beinen und Bauch.
    Von dieser Warte breitete die Landschaft sich wie ein komplexes
Panorama aus. Es war ein weites Tal. Ein Ensemble aus Kuppen,
erstarrten Lavaströmen, Verwerfungen und Kratern kündete
von geologischen Apokalypsen. Im Osten – und hinterm Horizont im
Westen – hatte das Land sich aufgewölbt und bildete ein mit
fruchtbarem vulkanischem Boden überzogenes Plateau, das bis zu
einer Höhe von dreitausend Metern aufragte. Dieses Plateau lief
in einer senkrecht ins Tal abstürzenden Wand aus.
    Dies war das Rift Valley, ein Riss zwischen zwei
aneinandergrenzenden tektonischen Platten. Vom Roten Meer und
Äthiopien im Norden verlief er dreitausend Kilometer durch
Kenia, Uganda und Tansania und endete in Mosambik im Süden. Seit
zwanzig Millionen Jahren hatte die geologische Aktivität in
dieser großen Wunde Vulkane erschaffen,

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