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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein
Mensch.
    Sie war groß – über hundertfünfzig
Zentimeter; ihre Art war größer als alle anderen
Vormenschen. Sie war schlank und geschmeidig und wog nicht mehr als
fünfundvierzig Kilogramm; sie hatte dünne Gliedmaßen,
Muskeln wie harte Knoten und einen flachen Bauch und Hinterteil. Sie
war erst neun Jahre alt, stand aber schon an der Schwelle zum
Erwachsenwerden – die Hüften wurden schon breiter, und die
kleinen festen Brüste waren schon gerundet. Aber sie war noch im
Wachstum. Sie würde eine Größe von annähernd
zwei Metern erreichen, die schlanken Proportionen aber beibehalten.
Die verschwitzte Haut war kahl außer einem lockigen schwarzen
Haarschopf und dunklen Haarbüscheln in der Schamgegend und unter
den Armen. Sie hatte allerdings noch so viele Haare wie ein
Menschenaffe, nur dass sie zu einem hellen Flaum reduziert waren. Ihr
Gesicht war rund und klein mit einer fleischigen Stupsnase, die wie
die eines Menschen hervorsprang und nicht wie bei einem Affen flach
auflag.
    Vielleicht war ihre Brust etwas hoch und etwas konisch; vielleicht
hätte sie mit den langen Gliedmaßen auch etwas
unproportioniert gewirkt. Aber ihr Körper lag bereits innerhalb
der Grenzen menschlicher Variation; sie hätte als Bewohner einer
Wüstenregion durchgehen können wie die Dinka im Sudan, die
Massai und andere afrikanische Stämme, die eines Tages das Land
durchstreifen würden, das sie nun durchquerte.
    Sie wirkte menschlich. Nur der Kopf passte nicht ins Bild.
Über den Augen verlief ein dicker Knochenwulst, der in eine
lange, fliehende Stirn überging. Von dort verlief der
Schädelknochen fast waagerecht bis zum Hinterkopf. Die Konturen
des Kopfes wurden zwar durch das dichte Haar kaschiert, aber das
geringe Schädelvolumen war trotzdem unverkennbar.
    Sie hatte den Körper eines Menschen und den Schädel
eines Affen. Aber die Augen waren klar und neugierig. Mit ihren neun
Jahren war sie – in diesem kurzen Moment aus Leben, Licht und
Freiheit und von der Freude über ihren Körper erfüllt
– so glücklich, wie sie es nur zu sein vermochte. Für
einen menschlichen Betrachter wäre sie eine Schönheit
gewesen.
    Ihre Leute waren Hominiden, den Menschen näher stehend als
Schimpansen und Gorillas und mit der Spezies verwandt, die man eines
Tages als Homo ergaster oder Homo erectus bezeichnen
würde. In der ganzen Alten Welt lebten viele Varianten und noch
mehr Sub-Spezies, die auf demselben Bauplan beruhten. Sie waren eine
erfolgreiche und flexible Art, aber es gab nicht annähernd genug
Knochen und Schädelfragmente, um ihre ganze Geschichte zu
erzählen.
    Irgendetwas stob vor ihren Füßen auf. Erschrocken und
keuchend blieb sie stehen. Es war eine Schilfratte, ein Nagetier; es
war bei der Nahrungssuche gestört worden und huschte davon.
    Und sie hörte einen Schrei. »Weit! Weit!«
    Sie schaute zurück. Ihre Leute, die sich in der Ferne
verschwommen abzeichneten, hatten sich auf dem felsigen Abschnitt
versammelt, wo sie die Nacht verbringen wollten. Einer von ihnen,
ihre Mutter oder Großmutter, hatte den höchsten Punkt der
Felsen erklommen und rief sie durch die vorm Mund zu einem Trichter
geformten Hände an. »Weit!« Das war ein Ruf, den kein
Menschenaffe hervorzubringen vermocht hätte, nicht einmal Capo.
Das war ein Wort.
    Die Sonne hatte den Zenit inzwischen überschritten, und die
Schatten zu ihren Füßen wurden wieder länger. Bald
würden die Tiere aufwachen, und sie wäre dann nicht mehr
sicher und würde den Schutz der schlafenden sonnigen Welt
verlieren.
    Allein und so weit von ihren Leuten entfernt, verspürte sie
einen Anflug von Furcht. Jeden Tag, wann immer die Gelegenheit sich
ihr bot, rannte sie zu weit weg, und jeden Tag musste sie
zurückgerufen werden. Sie hatte keinen Namen. Kein Hominide
hatte sich bisher einen Namen gegeben. Doch wenn sie einen gehabt
hätte, dann wäre es ›Weit‹ gewesen.
    Sie drehte sich zum Felsen um und rannte mit stetigen,
raumgreifenden Schritten auf ihn zu.
     
    Die Gruppe umfasste vierundzwanzig Leute.
    Die meisten Erwachsenen hatten sich über die Landschaft in
der Nähe der verwitterten Sandsteinklippe verstreut. Sie
bewegten sich wie schlanke Schatten durch das staubige Gelände
und suchten lautlos und routiniert nach Nüssen und kleinen
Tieren. Die Mütter kümmerten sich um die kleinsten Kinder;
sie hatten sich bei ihnen am Rücken festgeklammert oder
krabbelten ihnen zwischen den Füßen umher.
    Weits Mutter durchsuchte einen kleinen Akazienhain,

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