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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Eland-Fleischs schon fast verspeist, aber sie roch noch das
Tierblut an ihm. Er hatte einen Beinknochen dabei. Er ging vor ihr in
die Hocke und beschnüffelte sie neugierig. Dann schlug er den
Knochen auf den Stein, sodass er zerbrach. Sie roch das leckere Mark,
und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Ohne zu überlegen
griff sie nach dem Knochen.
    Er zog ihn zurück und lockte sie zu sich.
    Je näher sie kam, desto deutlicher roch sie ihn: das Blut,
den Schmutz, den Schweiß und einen schwachen Geruch von Sperma.
Dann erbarmte er sich und gab ihr den Knochen, den sie gierig
ausschleckte. Währenddessen legte er ihr die Hand auf die
Schulter und streichelte ihr über den Körper. Sie versuchte
nicht zurückzuzucken, als er ihre kleinen Brüste
berührte und an den Brustwarzen zog. Doch als er ihr mit den
tastenden Fingern zwischen die Beine griff, stieß sie einen
leisen Schrei aus. Er zog die Hand zurück und roch ihren Geruch.
Dann gelangte er offensichtlich zu dem Schluss, dass sie ihm nichts
zu bieten hatte und zog grunzend weiter.
    Aber das Mark hatte er ihr dagelassen. Gierig schlang sie es
hinunter und verspeiste den größten Teil, ehe der Knochen
ihr von einer alten Frau entrissen wurde.
     
    Das Licht verschwand schnell vom Himmel. In der Savanne erwachten
die Räuber zum Leben und markierten ihr blutiges Reich mit
Gebrüll.
    Die Leute versammelten sich auf der Felseninsel. Hier an diesem
unwirtlichen Ort sollten sie eigentlich sicher sein: Ein
lüsterner Räuber würde sich aus der Deckung wagen und
hier heraufklettern müssen, wo er intelligenten, großen
und bewaffneten Hominiden gegenüberstand. Doch eine Garantie gab
es nicht. Hier in der Gegend gab es einen Säbelzahntiger namens dinofelis, der wie ein übergroßer Jaguar aus dem
Hinterhalt jagte und sich aufs Töten von Hominiden spezialisiert
hatte. Dinofelis vermochte sogar auf Bäume zu klettern.
    Mit Anbruch der Dunkelheit gingen die Leute ihren Verrichtungen
nach. Ein paar nahmen Nahrung auf. Andere betrieben
Körperpflege, reinigten schmutzige Fußnägel und
drückten Blasen aus. Manche fertigten Werkzeuge. Viele dieser
Aktivitäten waren monoton und ritualistisch. Im Grunde war
niemand sich bewusst, was er tat.
    Ein paar Leute kämmten sich: Mütter mit Kleinkindern,
Geschwister, Paarungsgefährten, Frauen und Männer festigten
ihre subtilen Bande. Weit war mit dem dichten Haupthaar ihrer Mutter
zugange und frisierte es zu einer Art Zopf. Auch jetzt bedurfte das
Haar noch intensiver Pflege. Sonst verfilzte es und zog Läuse
an, die dann auch noch entfernt werden mussten.
    Diese Leute waren die einzige Säugetier-Spezies, deren
Haarkleid nicht wartungsfrei war – im Gegensatz zur
prächtigen Mähne, die manche Affen zierte. Weit musste sich
sogar regelmäßig die Haare schneiden lassen. Jedoch war
den Leuten nur deshalb Haar gewachsen, weil sie etwas zum Kämmen
brauchten. Hier draußen in der Savanne zahlte es sich aus,
Mitglied einer großen Gruppe zu sein, und die Gruppe brauchte
soziale Mechanismen, um den Zusammenhalt zu gewährleisten.
Allerdings hatte man heute keine Zeit mehr für die ausgiebige
Ganzkörper-Fellpflege der alten Affen, der Capo und seine
Vorfahren gefrönt hatten. Wie sollte man auch eine Haut
kämmen, die so kahl geworden war, dass sie schwitzen konnte.
Dennoch hielten sie mit dieser primitiven Frisiertechnik eine alte
Tradition aufrecht.
    Die Art und Weise, wie die Leute bei den Verrichtungen sich
verständigten, war nicht mit einer menschlichen Gruppe zu
vergleichen. In der zunehmenden Dunkelheit drängten sie sich
schutzsuchend zusammen, aber es fehlte ein richtiges
Gemeinschaftsgefühl. Es gab kein Feuer, keine Kochstelle, keinen
organisatorischen Mittelpunkt. Sie wirkten menschlich, aber ihr
Bewusstsein glich nicht dem der Menschen.
    Wie schon in Capos Zeit praktizierten sie ein striktes
›Schubladendenken‹. Der eigentliche Zweck von Bewusstsein
bestand nach wie vor darin, den Leuten bei der Ermittlung dessen zu
helfen, was im Bewusstsein der anderen vorging: Sie hatten nur ein
Selbst-Bewusstsein im menschlichen Sinn, wenn sie miteinander
umgingen. Die Grenzen des Bewusstseins waren viel enger als bei den
Menschen; es gab vieles, was im Dunklen lag und das sie taten, ohne
darüber nachzudenken. Selbst bei der Werkzeugfertigung und der
Nahrungszubereitung arbeiteten die Hände selbständig; das
Bewusstsein führte nicht mehr Regie als bei Löwen oder
Wölfen. Ihr Bewusstsein war gleitend und fließend.

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