Evolution
aber auch
eine Zeit neuer Möglichkeiten. In den insgesamt vier Milliarden
Jahren der Erdgeschichte hatte es nur ein paar Abschnitte gegeben,
die für Diversifizierung und evolutionäre Innovation
günstigere Voraussetzungen geboten hätten. Parallel zum
Artensterben schossen neue Arten wie Pilze aus dem Boden.
Und genau in der Mitte dieses ökologischen Hexenkessels waren
die Kinder von Capo.
Der nächste Morgen dämmerte hell an einem ausgewaschenen
blauen Himmel. Die Luft war jedoch sehr trocken und hatte einen
seltsam stechenden Geruch, und die Hitze wurde bald
unerträglich. Die Tiere der Savanne schienen den Atem
anzuhalten. Sogar die Vögel waren still; die Aasfresser hockten
wie hässliche schwarze Früchte in ihren Nestern.
Mit der kahlen, schwitzenden Haut waren die Leute so gut für
diese trockene Hitze gerüstet wie alle hiesigen Spezies. Doch
auch sie begannen lustlos den Tag. Sie wanderten auf ihrer
Felseninsel umher und wühlten in den Überresten der
Mahlzeit vom Vortag.
Dies war keine besonders üppige Gegend. Die Leute besprachen
ihre Pläne nicht – das taten sie nie, zumal sie auch gar
keinen Plan hatten –, aber es war offensichtlich, dass ihres
Bleibens hier nicht länger war. Binnen kurzem brachen ein paar
Männer zum Wasserlauf auf, um die Wanderung gen Süden
fortzusetzen.
Der Zustand Bengels hatte sich über Nacht jedoch
verschlechtert. Die Fußsohlen waren aufgesprungen und sonderten
wässrigen Eiter ab, und als er sie mit seinem Gewicht zu
belasten versuchte, schrie er vor Schmerzen auf. Er würde heute
nirgendwo hingehen.
Ruhig, Weits Großmutter und die meisten anderen Frauen
blieben in Bengels Nähe. Was die Männer betraf, so
ignorierten die Frauen einfach ihre Faxen, mit denen sie ungeduldig
auf der Spur hin- und hergingen, deren Anfang in Richtung Süden
sie schon gelegt hatten.
Dieser stumme Konflikt wegen des Tagesablaufs war schmerzlich
für sie alle. Es war ein echtes Dilemma. Die Savanne war
nämlich nicht wie der üppige, schützende Wald
früherer Zeiten; man konnte nicht einfach eine beliebige
Richtung einschlagen. In diesem kargen Land wurden die Leute jeden
Tag mit der Frage konfrontiert, wo sie Nahrung und Wasser suchen und
welche Gefahren sie meiden mussten. Selbst wenn sie sich nur einen
einzigen Fehler leisteten, hätte das gravierende Konsequenzen.
Die Läufer hatten nur wenige Kinder und investierten viel Zeit
und Mühe in jedes einzelne; da setzte man sie nicht leichtfertig
der Gefahr aus.
Schließlich gaben die Männer nach. Ein paar kehrten zum
Felsen zurück und machten in der heißen Mittagssonne ein
Nickerchen. Eine paar andere folgten unter der Führung von Braue
der Spur einer Elefantenherde, eins deren Mitglieder zu humpeln
schien. Der Rest der Männer, die Frauen und die Kinder
schwärmten zu den Stellen aus, an denen sie tags zuvor schon
nach Nahrung gesucht hatten.
Um zu überleben, mussten die Leute diese Lebensweise
adaptieren. Sie mussten eine Ausgangsbasis errichten, von der aus sie
Nahrung suchten und auf der sie Nahrung und Arbeit teilten. In der
offenen Ebene mussten die Leute sich die Nahrung hart erarbeiten, und
die nur langsam heranwachsenden Kinder erforderten einen großen
Aufwand bei Pflege und Versorgung. Sie mussten zusammenarbeiten und
teilen, auf die eine oder andere Art. Aber es gab keine Planung im
eigentlichen Sinn. In vielerlei Hinsicht glichen sie eher einem
Wolfsrudel als einer menschlichen Gemeinschaft.
Weit verbrachte fast den ganzen Morgen im zertrampelten Dickicht,
in dem ihre Mutter tags zuvor zugange gewesen war. Der Boden war
schon umgegraben worden, und um Wurzeln und Früchte zu finden,
musste sie ihn noch einmal gründlich durchwühlen. Bald war
sie verschwitzt, schmutzig und verspürte ein Gefühl des
Unbehagens. Sie war rastlos und fühlte sich eingesperrt, und die
langen Beine, die sie auf dem zertrampelten Boden unter sich
verschränkt hatte, begannen zu schmerzen.
Gegen Mittag vertiefte die bleierne Stille dieses unheimlichen,
bedrückenden Tags sich noch mehr. Weit hörte den Lockruf
der offenen, freien Savanne, wie sie ihn am Vortag schon vernommen
hatte. Als die Leere im Bauch ausgefüllt war, wurde der Druck
des Überlebens und der familiären Verpflichtungen von der
Sehnsucht überlagert, von hier zu verschwinden.
Eine Palme hatte die Heimsuchung durch die Deinotheria
überlebt und war in der Baumkrone mit Nüssen gespickt. Ein
junger Mann huschte mit einer Eleganz den Baum hinauf, die aus
Weitere Kostenlose Bücher