Evolution
Sie
fertigten Werkzeug so unbewusst, wie Menschen gingen und atmeten.
Dennoch pflegte die Gruppe – ob Mensch oder nicht – eine
Kommunikation. Diese Verständigung erfolgte zwischen
Müttern und Kindern, den sich gegenseitig Kämmenden und den
Paaren. Es wurden jedoch nicht viele Informationen ausgetauscht; die
›Gespräche‹ waren kaum mehr als lustvolle Seufzer, wie
das Schnurren von Katzen.
Aber ihre Worte klangen wie Worte.
Die Leute hatten lernen müssen, mit einer Ausstattung zu
kommunizieren, die für andere Aufgaben gedacht war – ein
Mund, der essen sollte, Ohren, die nach Gefahren lauschen sollten
– und die nun behelfsmäßig eine andere Funktion
übernehmen musste. Der aufrechte Gang hatte ihnen dabei
geholfen: Die Verlagerung des Kehlkopfs und eine Veränderung der
Atemtechnik hatten die Qualität der Laute verbessert, die sie zu
erzeugen vermochten. Um von Nutzen zu sein, mussten Laute aber
schnell zu identifizieren und eindeutig sein. Und die Hominiden
vermochten das nur in dem Maß zu leisten, wie die Anlagen es
ihnen ermöglichten. Während die Leute sich gegenseitig
zuhörten, nützliche Laute imitierten und in anderen
Situationen verwendeten, hatten Phoneme – die kleinste
unterscheidbare lautliche Einheit, in die Sprache zerlegt werden kann
– sich in Abhängigkeit von kommunikativen Erfordernissen
und anatomischen Beschränkungen herausgebildet.
Aber es gab noch nichts wie eine Grammatik – also keine
Sätze – und gewiss keine Narrativen, keine Geschichten. Und
der eigentliche Zweck der Kommunikation bestand auch noch nicht
darin, Informationen weiterzugeben. Niemand sprach über
Werkzeuge, Jagd oder Nahrungszubereitung. Sprache war sozial: Sie
wurde für Befehle und Forderungen verwendet, für den
Ausdruck von Freude und Schmerz. Und sie trat an die Stelle des
Kämmens: Mit Sprache, selbst wenn sie weitgehend inhaltsleer
war, vermochte man viel schneller Beziehungen herzustellen und zu
verstärken, als wenn man Läuse aus dem Schamhaar zupfte.
Und man vermochte sogar mehrere Leute gleichzeitig zu
›kämmen‹.
Dabei war die Entwicklung der Sprache hauptsächlich durch den
Mutter-Kind-Kontakt vorangetrieben worden. Zu dieser Zeit sprachen
die Vorfahren der menschlichen Geistesgrößen nur
›Mütterisch‹.
Und die Kinder sprachen gar nicht.
Das Bewusstsein der Erwachsenen entsprach hinsichtlich der
Komplexität etwa dem eines heutigen fünf Jahre alten
Kindes. Die Kinder jener Zeit erlangten erst als Erwachsene die
Sprachfähigkeit – vorher reichte es nur zu einem
schimpansenartigen Schnattern. Es war auch erst ein, zwei Jahre her,
seit die Worte der Erwachsenen einen Sinn für Weit ergaben, und
Bengel vermochte mit sieben noch gar nicht zu sprechen. Die Kinder
waren wie Menschenaffen, geboren von menschlichen Eltern.
Als das Licht erlosch, legte die Gruppe sich schlafen.
Weit schmiegte sich an die Beine ihrer Mutter. Der zu Ende gehende
Tag wurde zu einem Glied in einer langen Kette von Tagen, die bis zum
Anfang ihres Lebens zurückreichte – Tage, an die sie sich
nur verschwommen erinnerte und zu denen sie kaum einen Bezug
herzustellen vermochte. In der Dunkelheit stellte sie sich vor, wie
sie in die gleißende Helligkeit des Tags hineinrannte, rannte
und rannte.
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, dass sie zum letzten Mal
neben ihrer Mutter einschlief.
II
Vor einer Million Jahren hatte die tektonische Drift langsam, aber
unaufhaltsam zu einer Kollision zwischen Nordund Südamerika
geführt, bei der der Isthmus von Panama entstanden war.
An und für sich schien das ein nichtiges Ereignis zu sein,
und Panama ein vernachlässigbares Landstück. Doch wie
damals schon Chicxulub war diese Region wieder einmal zum Epizentrum
einer weltweiten Katastrophe geworden.
Durch Panama nämlich wurde der alte äquatoriale Fluss,
der zwischen den beiden amerikanischen Teilkontinenten
hindurchströmte – die letzte Spur der paradiesischen
Tethys-Strömung –, blockiert. Nun waren die mächtigen
interpolaren Flüsse die einzigen atlantischen Strömungen,
die wie große Fließbänder kaltes Wasser
transportierten. Die weltweite Abkühlung verstärkte sich
dramatisch. Die verstreuten Eisberge, die im Nordmeer schwammen,
vereinigten sich, und Gletscher breiteten sich wie Klauen über
die nördlichen Landmassen aus.
Die Eiszeit hatte begonnen. In ihrer größten Ausdehnung
würden die Gletscher über ein Viertel der
Erdoberfläche bedecken; das Eis würde sich bis
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