Evolution
hinunter
nach Missouri und Südengland erstrecken. Die Zerstörung war
gewaltig. Beim Durchgang der Gletscher wurde das Land bis aufs
Urgestein abgehobelt. Zurück blieben Berge mit kahlen Flanken,
polierten Oberflächen und gefräste, mit Geröll
übersäte Täler. Seit zweihundert Millionen Jahren
hatte es auf der Erde keine nennenswerte Vergletscherung gegeben; und
nun wurde ein Vermächtnis aus Gestein und Knochen, das tief ins
Zeitalter der Dinosaurier zurückreichte, völlig
zerstört.
Auf dem Eis selbst vermochte nichts zu leben – rein gar
nichts. Am Rand des Eises breiteten sich öde Tundra-Gürtel
aus. Selbst an weit vom Eis entfernten Orten wie in den
Äquatorialregionen Afrikas verschärften Änderungen der
Windmuster die Trockenheit, und die Vegetation zog sich an die
Küsten und Flussufer zurück.
Die Abkühlung verlief jedoch nicht einheitlich. Der Planet
neigte sich und schwankte in seinem endlosen Tanz um die Sonne,
änderte unmerklich den Neigungswinkel, die Inklination und die
›Feinabstimmung‹ der Umlaufbahn. Und mit jedem Zyklus kam
und ging auch das Eis, sodass der Meeresspiegel schwankte wie der
Kammerinhalt des pumpenden Herzens. Selbst das Land, das von
kilometerdickem Eis zusammengepresst oder durch sein Abschmelzen
freigegeben wurde, hob und senkte sich wie eine steinige Flut.
Manchmal war der Klimawechsel geradezu brutal. Binnen eines
einzigen Jahrs konnte der Schneefall in einem Gebiet sich verdoppeln
und die Durchschnittstemperatur um zehn Grad fallen. Lebewesen, die
mit so krassen Schwankungen konfrontiert wurden, zogen weg oder
starben.
Sogar die Wälder marschierten. Die Fichte erwies sich als ein
schneller Wanderer und vermochte alle zwei Jahre einen Kilometer
zurückzulegen. Die Kiefer war ihr dicht auf den Fersen. Die
großen Walnussbäume, massive Stämme mit schweren
Samen, schafften immerhin hundert Meter pro Jahr. Vor den Eiszeiten
waren die Tiere der mittleren Breiten der nördlichen
Hemisphäre eine bunte Mischung aus äsenden Herdentieren wie
Damwild und Pferden gewesen, mit großen Pflanzenfressern wie
Nashörnern und schnellen Fleischfressern wie Löwen und
Wölfen. Nun wanderten die Tiere auf der Suche nach Wärme
gen Süden. Populationen von Tieren aus verschiedenen Klimazonen
wurden vermischt und waren gezwungen, sich in schnell
verändernden ökologischen Arenen zu behaupten.
Manche Lebewesen passten sich jedoch an die Kälte an und
nutzten das Nahrungsangebot, das am Rand der Eisschilde noch
existierte. Viele Tiere wie Nashörner und kleinere Tiere wie
Füchse, Hunde und Katzen bildeten ein dichtes Fell und eine
Fettschicht aus. Andere machten sich die starken
Temperaturschwankungen zwischen den Jahreszeiten zunutze. Sie
wanderten – im Frühling nach Norden und im Herbst nach
Süden. Die Ebenen wurden zu einem Tummelplatz des Lebens, wo
große mobile Gemeinschaften von geduldigen Jägern belauert
wurden.
Die Vereinigung der beiden amerikanischen Kontinente war eine
Katastrophe. Nord- und Südamerika waren getrennt gewesen, seit
Pangäa vor etwa hundertfünfzig Millionen Jahren auseinander
gebrochen war. Die Fauna Südamerikas hatte sich in der Isolation
entwickelt und wurde von Beutel-Säugetieren und Huftieren
dominiert. Es gab Beutel-›Wölfe‹ und
Säbelzahn-›Katzen‹, behufte ›Kamele‹,
Rüssel-›Elefanten‹ und riesige Boden-Faultiere, die
bis zu drei Tonnen wogen und sechs Meter groß waren, wenn sie
sich auf die Hinterbeine stellten und an Palmblättern
knabberten. Es gab noch immer Glyptodonten, der riesigen gepanzerten
Bestie gar nicht so unähnlich, die Streuner erschreckt hatte,
und die Räuber waren große flügellose Vögel wie
in den ›alten Zeiten‹. Dieses exotische Ensemble hatte sich
isoliert entwickelt, obwohl es hin und wieder mit Fremden
angereichert worden war, die auf Flößen oder
Landbrücken herkamen – wie Streuner und ihre
glücklosen Gefährten, deren Kinder die
südamerikanischen Dschungel mit Affen bevölkert hatten.
Als jedoch die Landbrücke von Panama entstand, waren in
großer Zahl Insektenfresser, Kaninchen, Eichhörnchen,
Mäuse und später Hunde, Bären, Wiesel und Katzen von
Norden nach Süden gewandert. Die Ureinwohner Südamerikas
waren der Konkurrenz mit diesen Neuankömmlingen nicht gewachsen.
Das Sterben zog sich über Jahrmillionen hin, aber das Schicksal
der Beuteltiere war besiegelt.
Trotz aller Härten und des Sterbens eröffnete diese Zeit
schneller und brutaler Veränderungen paradoxerweise
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