Evolution
Wasser gewatet
war. Er hatte einen hölzernen Speer in der Hand und stand reglos
da, die Augen auf die schimmernde Wasseroberfläche geheftet.
Nach einer Weile stach er mit einem lauten Platschen zu – und
als er den Speer aus dem Wasser zog, steckte ein zappelnder Fisch
daran. Axt zog den Fisch mit einem Jubelschrei vom Speer und warf ihn
ans Ufer. Ein anderer Mann schwamm etwas weiter draußen auf
einen Wasservogel zu, der nichts ahnend auf dem See umherpaddelte.
Der Mann machte einen Satz, aber der Vogel ergriff unter viel
Planschen, Schnattern und Schreien die Flucht.
Weit schloss sich den Frauen an.
Sie fand eine Königskrabbe, die durch einen schlammigen Kanal
stakste. Sie war leicht zu fangen. Weit drehte die schwach mit den
Beinen wedelnde Krabbe um. Mit einem Stein knackte sie das Oberteil
des Panzers auf. Im Innern, am Kopfansatz, war eine Menge Eier wie
dicke Reiskörner deponiert. Sie pulte sie heraus und stopfte sie
sich in den Mund. Der Geschmack war sehr intensiv, wie traniger
Fisch. Das restliche Fleisch der Krabbe erwies sich als zu zäh,
als dass es sich gelohnt hätte, es herauszupulen. Sie warf den
zertrümmerten Panzer weg und setzte die Nahrungssuche fort.
So verging der Vormittag, während die Leute sich der
Nahrungssuche widmeten – eine Tierart von vielen in dieser
belebten Savanne.
Gegen Mittag zogen die Leute sich satt und zufrieden vom Wasser
zurück.
Doch Axt machte sich selbständig. Weit folgte ihm. Er schaute
zu ihr zurück. Sie wusste, dass er wusste, dass sie ihm
folgte.
Axt gelangte zu einem ausgetrockneten Flussbett, das mit
abgeschliffenen Kieselsteinen übersät war. Er ging im Bett
auf und ab und prüfte die Steine, bis er gefunden hatte, wonach
er suchte. Es war ein etwa faustgroßer, abgeflachter und
abgerundeter Stein. Dann hockte er sich ins Flussbett und suchte es
ab, bis er einen geeigneten Hammer-Stein gefunden hatte. Er hatte
etwas getrocknetes Strauchwerk dabei, das er zum Schutz über die
gekreuzten Beine legte. Dann ging er ans Werk und bearbeitete den
Stein, den er ausgewählt hatte. Bald stoben Splitter von den
Steinen.
Weit saß zehn Meter entfernt. Sie hatte die Beine an die
Brust gezogen, hielt sie mit den Händen umklammert und schaute
ihm fasziniert bei der Werkzeugfertigung zu. So etwas hatte sie noch
nie zuvor gesehen.
Axt und Weit waren nämlich in Werkzeugmacher-Kulturen
aufgewachsen, die durch Jahrtausende getrennt worden waren.
Nachdem sie den Wald erst einmal hinter sich gelassen und sich
endgültig für die Savanne entschieden hatten, war den
Läufern gleich ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten
eröffnet worden. Sie waren mehr als nur mobil. Sie wanderten.
Aber diese Wanderung war ziellos. Für jedes Individuum ging es
nur ums Überleben. Für Leute, die neue Landschaften zu
erkunden vermochten, war es oft leichter, zu einem
verheißungsvollen Platz weiterzuwandern als zu versuchen, sich
an Ort und Stelle an widrige Bedingungen anzupassen.
Im Lauf der Generationen legten die Leute Tausende von Kilometern
zurück. Sie verließen sogar Afrika und setzten den
Fuß in Gebiete, die kein Hominide bisher betreten hatte. Bevor
die Eiszeit die Welt in den Würgegriff nahm, hatten von Afrika
bis nach Südeuropa, den Mittleren Osten und Südasien
gemäßigte klimatische Bedingungen geherrscht. Beim
Betreten dieser vertrauten Umgebung folgten die Leute dem leichtesten
Weg der Küstenlinien: Sie zogen am Mittelmeer entlang,
schwenkten dann landeinwärts und kolonisierten Griechenland,
Italien, Frankreich und Spanien – genauso wie die Tiere, die
später auf Afrika beschränkt waren: Elefanten, Giraffen und
Antilopen. In östlicher Richtung kamen sie bis nach Indien,
sickerten im späteren China ein und stießen in
südlicher Richtung sogar bis nach Indonesien vor.
Das war jedoch keine Eroberung. Weits Art hatte sich zwar weiter
ausgebreitet als alle anderen Primaten-Spezies – andere Tiere,
wie die Elefanten, schwärmten jedoch viel weiter aus. Und sie
waren auch nur wenige. Ihre Dichte auf einer gegebenen Fläche
war geringer als zum Beispiel die der Löwen. Trotz der Werkzeuge
waren die Leute noch immer nur Tiere in einer Landschaft, die sie
nicht nennenswert prägten.
Zumal die Wanderung ziellos war. Einer von Weits Ahnen war sogar
bis nach Vietnam gekommen; und nun, in Weits Zeit, war ihre
Abstammungslinie – durch Zufall und endlose Wanderungen –
wieder in Ostafrika, in der alten Heimat angelangt.
Jedoch stießen die Rückkehrer in der
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