Evolution
gefertigt. In einer so großen
Zeitspanne hatten die Äxte den Status bloßer Werkzeuge und
der reinen Funktionalität quasi transzendiert.
Für Axt war diese Leistung der Werkzeugfertigung eine Art
Werbung. Er versuchte Weit damit von seinen Qualitäten als
Paarungsgefährte zu überzeugen. Durch die Herstellung des
Werkzeugs demonstrierte er ihr gleichzeitig seine Körperkraft,
die Präzision seiner Arbeit, die Klarheit seines Geistes, die
Fähigkeit, etwas zu planen und in die Praxis umzusetzen, die
Fertigkeit, Rohmaterialien zu finden, die Koordination von Hand und
Auge, die räumlichen Fähigkeiten und das Verständnis
der Welt um sich herum. Allesamt Eigenschaften, von denen er
erwartete, dass sie sie an ihre Nachkommen weitergeben wollte –
aus diesem Grund hatten solche Darbietungen eine eigene Logik
entwickelt und sich vom reinen Nützlichkeits-Aspekt der
Steinäxte losgelöst.
Getrieben von Lust und Sehnsucht fertigten Männer und Jungen
Dutzende Steinäxte. Sie arbeiteten stundenlang an einer einzigen
Axt und strebten perfekte Symmetrie an. Sie machten winzige Äxte
von der Größe eines Daumennagels und klobige Apparate, die
man nur mit beiden Händen halten konnte. Sie folgten Axts
Beispiel und wählten besonders schwierige Werkstoffe aus, aus
denen sie dann Äxte zauberten. Manchmal warfen sie die fertigen
Äxte sogar absichtlich weg, nur um ihre Stärke und
Fertigkeit zu demonstrieren.
Es war sogar ein Täuschungsmanöver wert, wie
Narben-Gesicht es versucht hatte. Das funktionierte zwar nicht immer
– die Frauen kamen bald darauf, dass sie die Entstehung der
eindrucksvollsten Axt sehen mussten –, doch gelegentlich
lohnte es sich, und der Blender bekam eine Chance, seine Gene
weiterzugeben.
Diese Verquickung der Werkzeugfertigung mit sexuellem Werben
wirkte sich nachhaltig auf die Zukunft aus. Weil ein Mann es sich
nicht leisten konnte, Äxte nicht in der Tradition seiner
Vorväter zu fertigen, trat ein Stillstand ein. Diese Leute
fertigten das immergleiche Werkzeug nach demselben Plan -Millionen
Jahre auf mehreren Kontinenten, und das trotz mehrerer Eiszeiten.
Sogar die verschiedenen Spezies, die ihnen nachfolgten,
bedienten sich der gleichen Technik. Das war eine Kontinuität
und Beständigkeit, an die keine Institution und Religion je
heranreichen sollte. Nur der Sex vermochte es, die Menschen so stark
in den Bann zu ziehen, um eine so lange Stagnation zu bewirken.
Wenn er seine Werkzeuge fertigte, musste Axt in einem gewissen
Maß wie ein Mensch denken. Im Gegensatz zum pithecinenartigen
›Haudrauf‹, der den Splitter, den er vom Stein abscherte,
in jeder Form und Größe akzeptierte, musste Axt bereits
ein Bild des fertigen Gegenstands vor seinem geistigen Auge haben. Er
musste die Werkstoffe und Hammer-Steine mit Blick auf dieses Bild
auswählen, und er musste systematisch auf sein Ziel hinarbeiten.
Doch anders als bei einem Menschen war sein Bewusstsein segmentiert.
Axt fertigte seine Werkzeuge wie ein Mensch, aber er warb um
Gefährtinnen wie ein Tier.
Als Axt fertig war, drehte er das von ihm geschaffene Werkzeug
ostentativ in den Händen und präsentierte ihr die glatten
Flächen und die feine Schneide. Es war schön, aber
unpraktisch.
Weit, die in einer etwas anderen Kultur aufgewachsen war,
vermochte sich keinen Reim auf seine Handlungen zu machen und wurde
dadurch genauso verwirrt wie von Narben-Gesichts
Täuschungsversuch. Aber sie spürte, dass Axt sich für
sie interessierte, und es wurde ihr warm im Bauch. Und in einem
nüchtern kalkulierenden Winkel des Bewusstseins wusste sie auch,
dass, wenn sie Axts Gefährtin wurde – wenn sie schwanger
wurde –, Teil seiner Gruppe würde und ihre Zukunft
gesichert wäre.
Aber sie hatte noch nie Geschlechtsverkehr gehabt, mit niemandem.
Sehnsüchtig und furchtsam zugleich saß sie am Rand des
Flussbetts, die Beine noch immer an die Brust gezogen. Sie wusste
nicht, was sie tun sollte.
Schließlich warf er die schöne Axt auf den Haufen zu
den anderen. Konsterniert schaute er sie von der Seite an und ging
weg.
Speziation – die Entstehung einer neuen Spezies – war
ein seltenes Ereignis.
Eine Spezies verwandelt sich nicht fließend in eine andere.
Speziation fand vielmehr dann statt, wenn eine Gruppe Tiere von der
Hauptpopulation isoliert wurde und unter Überlebensdruck geriet.
Die Isolation war einerseits physikalisch – wenn zum Beispiel
eine Gruppe Elefanten durch eine Überschwemmung abgeschnitten
wurde – oder
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