Evolution
Sonne. Das
Land war versengt, das Gras geschwärzt, der Erdboden rissig und
trocken. Doch hinter einer niedrigen Anhöhe sah sie das Glitzern
von Wasser: einen Fluss, der zwischen erodierten, etwas weiter
entfernten Hügeln hervortrat.
Sie kannte diesen Ort nicht. Sie hatte das Waldgebiet von Ost nach
West durchquert.
Zaghaft ging sie weiter. Der verbrannte Boden war noch immer warm
– hier und da schwelten noch Baumstümpfe und Büsche
–, und die versengten Grashalme schnitten ihr in die
Füße. Bald waren die Waden, die vom Aufenthalt im Wald
ohnehin schon schmutzig waren, mit einer kohlrabenschwarzen
Ascheschicht überzogen.
Aber sie schaffte es bis zum Wasser. Der Fluss war klar und floss
schnell in seinem Bett über abgeschliffenen vulkanischen
Kieseln. Versengte Pflanzenreste trieben auf der
Wasseroberfläche. Sie tauchte das Gesicht hinein und trank
gierig. Der Schmutz und das Blut wurden abgewaschen, und der
hartnäckige Rauchgestank und -geschmack in Nase und Mund
verschwanden.
Und dann hörte sie einen Ruf. Eine Stimme. Ein Wort. Aber es
war kein Wort, das sie kannte.
Sie kroch aus dem Wasser und warf sich flach hinter einen
verwitterten Felsen. In ihrer Welt verhießen Fremde nichts
Gutes. Wie ihre Pithecinen-Verwandten waren ihre nomadischen Leute
fremdenfeindlich.
Ein Mann kniete auf dem verbrannten Boden und suchte ihn mit
flinken Bewegungen nach Nahrung ab, die das Feuer übrig gelassen
hatte. Er war jung, hatte glatte Haut und dichtes Haar.
Er hob eine verkohlte Eidechse auf. Mit einer Art behauenem Stein
– diese Form war ihr unbekannt – kratzte er die verbrannte
Haut vom steifen Kadaver und legte einen rosigen Fleischhappen frei,
den er sofort verspeiste. Dann fand er eine Schlange, eine Natter,
die auch verkohlt und starr war. Er versuchte ihr die versengte Haut
abzuziehen, aber sie war zu zäh, und er warf den Kadaver
weg.
Und dann fand der Mann einen echten Schatz. Es war eine
Schildkröte, die im eigenen Panzer gegrillt worden war. Er hob
sie auf und drehte sie um, wobei er etwas vor sich hinmurmelte. Dann
nahm er das Werkzeug – es war eine Steinklinge, aber sie war
dreieckig und an allen Seiten scharfkantig – und rammte sie in
den Halsansatz der Schildkröte. Mit einiger Anstrengung knackte
er den Panzer und tranchierte das Fleisch mit dem Messer.
Schildkröten waren eine bevorzugte Beute der
Pithecinen-Jäger. Sie gehörten zu den wenigen Tieren der
Savanne, die noch kleiner und langsamer waren als Hominide. Und die
Angewohnheit der Schildkröten, sich im Boden einzugraben,
bewahrte sie auch nicht davor, dass sie von klugen Tieren mit
Stöcken ausgegraben wurden und dass ihr – für
Löwen- und Hyänenzähne undurchdringlicher Panzer
– mit speziellen Werkzeugen geöffnet werden konnte.
Weit war von der Steinaxt des jungen Manns fasziniert. Mit den
scharfen Schneiden und den glatten Flächen war sie den
Hack-Steinen und pithecinenartigen Schneidwerkzeugen ihrer Leute weit
überlegen. Auf einer tiefen somatischen Ebene verstand sie das
Werkzeug aber sofort; sie verspürte den Drang, den steinernen
Keil in die Hand zu nehmen und ihn auszuprobieren.
So lang sie ihn sah, würde sie diesen jungen Mann mit dem
Steinwerkzeug verbinden, das er so geschickt benutzte. Sie würde
ihn sich als Axt vorstellen.
Plötzlich blickte Axt auf und schaute Weit direkt in die
Augen.
Sie duckte sich hinter den Felsen. Aber es war schon zu
spät.
Knurrend ließ er die Schildkröte fallen – der
Panzer fiel klackend auf den versengten Boden – und hob die
Steinaxt.
Sie hatte keine Fluchtmöglichkeit. Sie stand auf und
spürte, wie seine Blicke über ihren Körper wanderten,
über den noch immer feuchten Rücken und das Hinterteil. Er
senkte die Axt und grinste sie an. Dann widmete er sich wieder der
Schildkröte und fuhr fort, das Fleisch aus dem Panzer
herauszulösen.
Rufe ertönten in der Ferne.
Sie sah noch mehr Leute, Leute wie sie: Erwachsene und Kinder,
deren schlanke Gestalten wie Schemen über die versengte Ebene
zogen. Sie untersuchten eine Ansammlung verbrannter verdrehter
Kadaver. Das war eine Antilopenherde gewesen, die gerade Nachwuchs
bekommen hatte; viele der unglücklichen Kreaturen waren in dem
Moment verbrannt, als sie gekalbt hatten. Nun zerlegten die Leute mit
ihren schönen Steinäxten die Ausbeute, und sie vermochte
sogar von hier aus den köstlichen Duft gebratenen Fleischs zu
riechen. Axt ließ die Schildkröte fallen und rannte zu
seinen Leuten.
Weit folgte ihm,
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