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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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zuzubeißen. Wo die Tyrannosaurier sich zum
Jagen auf die Lauer legten, waren die Gigantosaurier Herdentiere. Um
einen fünfzig Meter langen und hundert Tonnen schweren
Sauropoden zu erlegen, kam es weniger auf Köpfchen an als
vielmehr auf schiere Kraft und ansatzweise Teamarbeit – und auf
eine Art Blutrausch.
    Nachdem die Gigantosaurier über diese Landbrücke in ein
neues Land gekommen waren, hatten sie sich jedoch der Konfrontation
mit einer etablierten Ordnung von Räubern stellen müssen.
Die Eindringlinge hatten schnell erkannt, dass sie ein Gebiet erst
dann dauerhaft zu übernehmen vermochten, wenn sie den
dominierenden Fleischfresser in einem blutigen Putsch gestürzt
hatten.
    Und genau deshalb tat dieses junge Gigantosaurier-Männchen
sich auch an glitschigen Tyrannosaurier-Embryos gütlich.
Methodisch knackte Riese ein Ei nach dem andern. Das sorgfältig
gebaute Nest verwandelte sich in ein Chaos aus zerbrochenen Eiern,
verstreutem Moos und zerfetzten Embryos. Riese ließ es sich
schmecken – und stellte zugleich eine Herausforderung dar.
    Eine Machtübernahme würde stattfinden. Der Tyrannoraurus
war der dominierende Räuber gewesen, der Beherrscher des Landes
im Umkreis von hundert Kilometern – als ob das ganze, fein
austarierte Ökosystem ein großes Landgut wäre, das
nur zu seinem persönlichen Wohlergehen geführt wurde. Die
Beute-Spezies hatten sich indes mit der schrecklichen Kreatur
arrangiert, die mitten unter ihnen lebte: Mit ihren Panzern, Waffen
und Flucht-Strategien hatten die Gejagten eine Verteidigungsposition
aufgebaut, wo die Verluste durch Räuber den Bestand der Herde
nicht mehr gefährdeten.
    Mit der Zeit hätte das alles sich geändert. Der Impetus
der hungrigen Invasoren hätte sich über die Nahrungskette
fortgepflanzt und große und kleine Lebewesen
gleichermaßen betroffen, bevor ein neues Gleichgewicht sich
eingestellt hätte. Und es hätte noch länger gedauert,
bis die Beute-Spezies neue Verhaltensweisen erlernt oder auch nur
neue Fluchtstrategien und Körperschutz entwickelt hätten,
um den Gigantosauriern nicht völlig schutzlos ausgeliefert zu
sein.
    Doch nichts von alledem sollte geschehen. Der Clan der
Gigantosaurier würde keine Zeit mehr haben, seinen Triumph
auszukosten. Nicht in den paar noch verbleibenden Stunden.
    Riese wandte sich vom verwüsteten Nest ab. Aber er hatte noch
Hunger – wie immer.
    Verwesungsgeruch lag in der stillen, diesigen Luft. Etwas
Großes war verendet: wahrscheinlich eine leichte Beute. Er
schob sich durch einen Hain aus Baumfarnen und betrat wieder eine
Lichtung. Hinter dem grünen Vorhang auf der anderen Seite
erkannte er verschwommen die schwarze Flanke eines jungen
Vulkans.
    Und hier, in der Mitte der Lichtung, stand ein Dinosaurier –
ein Troodon – reglos über einer Erdaufwerfung.
    Riese erstarrte. Das Troodon hatte ihn nicht gesehen. Und es war
allein; es fehlten die wachsamen Gefährten, von denen er wusste,
dass sie die Rudel dieses leichtfüßigen kleinen
Dinosauriers bildeten.
    Das Troodon verhielt sich irgendwie seltsam. Und diese Gelegenheit
sollte er nutzen, sagte das grausame räuberische Kalkül
ihm.
     
    Verletzlicher Zahn hätte eigentlich imstande sein
müssen, den Verlust eines Geleges zu verwinden.
    Dies war schließlich eine wilde Zeit. Die Sterblichkeit
unter den Tierkindern war sehr hoch, und der plötzliche Tod war
eine Konstante des Lebens. Zumal die Evolution das Troodon mit dem
Rüstzeug ausgestattet hatte, um sich in dieser Welt zu
behaupten.
    Aber es vermochte sich nicht zu behaupten. Nicht mehr.
    Es war ohnehin das Schwächste seiner Brut gewesen. Es
hätte nicht einmal die ersten paar Tage nach dem Schlüpfen
überlebt, wenn seine Geschwister nicht zufällig durch einen
umherstreifenden Beuteltier-Räuber dezimiert worden wären.
Schließlich hatte es die körperliche Schwäche
überwunden und sich zu einem guten Jäger gemausert. Aber in
einem dunklen Winkel des Bewusstseins war es immer das
schwächste Junge geblieben, dem die Geschwister das Futter
stahlen und das sogar in der Gefahr geschwebt hatte, von ihnen
verspeist zu werden.
    Hinzu kam die langsame Vergiftung durch die Dämpfe und
Stäube der Vulkane im Westen. Und das Bewusstsein der eigenen
Alterung. Und der hammerharte Schlag des Verlusts der Brut. Es war
ihm nie gelungen, Purgas Geruch aus dem Kopf zu verbannen.
    Es war nicht schwer gewesen, diesem Geruch über die Grenzen
des Reviers hinaus zu folgen, über die Flutebene zur
Meeresküste

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