Evolution
Kometenkern war jedoch größer als jeder Meteor. Er
bewegte sich mit einer interplanetaren Geschwindigkeit von zwanzig
Kilometern pro Sekunde und hatte den Mondorbit schon gekreuzt.
Von wo aus er nur noch fünf Stunden brauchen würde, um
die Erde zu erreichen.
Die ganze Nacht ertönten die Stimmen der verwirrten
Vögel, und dann schliefen sie erschöpft den ganzen Tag
durch. Ihr Gehirn war nicht auf ein neues Licht am Himmel
programmiert, und sie waren bis hinunter auf die Ebene der
Körperzellen aus dem Gleichgewicht geraten. In den Meeren waren
das Plankton und größere Lebewesen wie Krabben und
Garnelen irritiert; die Jäger nutzten das weidlich aus und
machten fette Beute.
Nur die großen Dinosaurier blieben ungerührt. Das Licht
des Kometen bewirkte keine Änderung der Lufttemperatur, und als
die Nacht hereinbrach, versanken sie in der üblichen dumpfen
Starre. In der letzten Nacht einer Regentschaft, die fast zweihundert
Millionen Jahre gewährt hatte, schliefen die Herren der Welt
tief und fest.
Wären da nicht die Dinosaurier-Eier gewesen, hätte der
junge Gigantosaurier das verstörte Troodon noch früher
erspäht. Im Windschatten der Berge pirschte er lautlos durch
grüne Schatten. Sein Name bedeutete ›Riese‹.
Der lichte Wald bestand aus schlanken Araukarien und Baumfarnen,
die über einen mit scharfkantigem Vulkan-Gestein
übersäten Boden verteilt waren. Nichts regte sich. Alles,
was sich zu verstecken vermochte, hatte sich schon versteckt; und
alles andere lag reglos da und hoffte darauf, dass der Schatten des
Todes an ihm vorüber zog.
Er kam zu einem Haufen aus Moos und Flechten. Auf den ersten Blick
sah er aus wie ein Haufen, der vom Wind oder von vorbeiziehenden
Tieren aufgeschichtet worden war. Doch Riese erkannte die
charakteristischen Kratzer und roch den Geruch eines
Fleischfressers.
Es war ein Nest.
Mit einem gierigen Grollen stürzte er sich auf das Nest und
riss es mit den kurzen Vorderarmen auseinander. Nachdem er die Eier
freigelegt hatte, bohrte Riese den klauenbesetzten Daumen mit
chirurgischer Präzision in das größte Ei. Er zog den
Embryo am Kopf heraus. Während das Eiweiß noch abtropfte,
sah Riese, dass das Baby schwächlich zappelte. Er sah sogar das
winzige Herz schlagen.
Wie die Embryonen von Schimpansen, Gorillas und Menschen sich
verblüffend ähnlich waren, sahen auch
Dinosaurier-Föten mehr oder weniger gleich aus. Diesem Baby war
nicht anzusehen, dass es sich zu einem Tyrannosaurier-Weibchen
entwickelt hätte. Der blinde, taube und noch unfertige Embryo
versuchte den Mund zu öffnen. Es glaubte wohl, die massige
Gestalt seiner Mutter vor sich zu haben, die es füttern
würde. Riese steckte sich den Embryo ins Maul und schluckte ihn
unzerkaut hinunter. Das Leben des Babys endete im Säurebad eines
dunklen, sich zusammenziehenden Magens.
Das spielte aber auch keine Rolle. Auch wenn der Räuber das
Gelege nicht geplündert hätte, wäre das Ei
zerstört worden, ehe es noch ausgebrütet war – von
einem Ungeheuer, das noch schrecklicher war als ein
Gigantosaurier.
Riese entstammte einer südamerikanischen Linie, die vor
tausend Jahren eine vorübergehende Landbrücke zu diesem
Kontinent überquert hatte.
In einer Welt auseinanderdriftender Inselkontinente hatte die
Dinosaurier-Fauna sich diversifiziert. In Afrika gab es
altertümlich anmutende, riesige Pflanzenfresser mit langen
Hälsen und Tiere mit dicken, gedrungenen Leibern und
klauenbewehrten Füßen, die an Nilpferde erinnerten. In
Asien lebten kleine, schnelle gehörnte Dinosaurier mit Nasen wie
Papageienschnäbeln. Und in Südafrika wurden große
Sauropoden von riesigen Räuber-Rudeln gejagt. Die dortigen
Verhältnisse erinnerten an frühere Zeiten, als Pangäa
noch existiert hatte. Die Gigantosaurier waren durch die Jagd auf die
südamerikanischen Titanosaurier jedoch in eine evolutionäre
Sackgasse geraten.
Riese war ein halbwüchsiges Männchen und doch schon
größer als die meisten Fleischfresser dieses Zeitalters.
Der Kopf von Riese war im Verhältnis zum Körper
größer als der eines Tyrannosauriers – aber sein
Gehirn war dennoch kleiner. Die Gigantosaurier waren weniger
beweglich, weniger schnell und weniger intelligent; sie hatten mehr
mit den prähistorischen Allosauriern gemein, die für das
Töten mit Zähnen und Klauen ausgerüstet waren. Wogegen
die Tyrannosaurier, deren evolutionäre Energie in den
großen Köpfen konzentriert war, darauf spezialisiert
waren, wie Haie
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