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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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und eine Seite war mit einem
filigranen Relief verziert, das den Betrachter bannte und ihm die
Sinne verwirrte. Das Mädchen schwenkte das Amulett hin und her,
als ob es ihn hypnotisieren wollte, und kam auf ihn zu. »Knochenkopf-Mann, schön, schön…« Der
Alte Mann schaute in blaue Augen, die seinen Blick in der Manier der
Dürren unbehaglich direkt erwiderten: Es war der Blick eines
Raubtiers.
    Er streckte die Hand aus und schlug gegen das Amulett. Es wickelte
sich um den Hals des Mädchens und flog gegen die Wand hinter
ihr. Es stieß einen Schrei aus, weil die lederne Schnur in den
Hals eingeschnitten hatte. Der Alte Mann holte wieder aus. Im
nächsten Moment konnte es schon vorbei sein.
    Aber die Kinder plapperten schon wieder in dieser schnellen,
komplizierten Sprache. »Mach, dass er weggeht! Bitte, mach,
dass er weggeht!« – »Schon gut, Millo. Hab keine
Angst. Dein Urgroßvater ist in dir. Er wird dir
helfen…«
    Der Alte Mann nahm die Hände herunter und ließ sie an
der Seite herabbaumeln.
    Er schaute auf die Muscheln, die sie zu öffnen versucht
hatten. Die Schalen waren verschrammt und angesplittert – eine
hatte auch Zahnspuren –, aber keine einzige war aufgebrochen.
Diese Kinder waren hilflos, sogar hilfloser als die meisten ihrer
Art. Sie vermochten ihm nicht einmal die Muscheln zu stehlen.
    Es war lang her, seit zuletzt irgendwelche Stimmen in dieser
Höhle erklungen waren, außer seiner eigenen und dem
hässlichen Kreischen von Möwen und dem Bellen von
Füchsen.
    Ohne genau zu wissen, wieso er das tat, ging er in den hinteren
Abschnitt der Höhle zurück. Hier lagerte er das Fleisch,
die Werkzeuge und einen Holzvorrat. Er kam mit einem Arm voll
Kiefernscheite zurück, die er aus dem Wald oberhalb der Klippe
geholt hatte und ließ sie am Eingang der Höhle fallen.
Dann holte er eine Fackel, einen Kiefernast, der dick mit Harz
verschmiert und mit eingefetteter Robbenhaut umwickelt war. Die
Fackel brannte stetig, wenn sie auch stark qualmte und spendete
Licht. Er rammte die Fackel in den Boden und türmte Holz
darüber auf.
    Die Kinder hatten sich noch immer an die Wand gekauert und
starrten ihn mit großen Augen an. Der Junge zeigte auf den
Boden. »Schau. Wo ist denn seine Feuerstelle? Er macht
vielleicht eine Unordnung…« Das Mädchen presste
ihm die Hand auf den Mund.
    Als das Feuer richtig brannte, trat er es auseinander, sodass die
darunter liegenden rot glühenden Scheite zum Vorschein kamen.
Dann nahm er eine Handvoll Muscheln und warf sie ins Feuer. Die
Muschelschalen platzten schnell auf. Er fischte sie mit einem Stock
heraus und pulte den leckeren salzigen Inhalt der Reihe nach mit dem
Finger heraus.
    Der Junge zappelte herum und bekam den Mund frei. »Ich
rieche sie. Ich habe Hunger.«
    »Sei still, sei einfach nur still.«
    Als der Alte Mann sich satt gegessen hatte, hob er eine
Hinterbacke, ließ kräftig einen fahren und stand
mühsam auf. Dann schlich er zum Höhleneingang und setzte
sich wieder hin; ein Bein winkelte er unter sich an, das andere
streckte er aus, sodass die Beine und der Unterleib vom ledernen
Umhang abgedeckt wurden. Er hob einen Feuerstein auf, den er vor
Tagen hier liegengelassen hatte. Mit einem Granit-Brocken als
Hammer-Stein schlug er zügig einen Kern aus dem Feuerstein. Bald
waren die Beine von Splittern gesäumt. Er hatte heute Delphine
gesehen, und die Chancen standen gut, dass in den nächsten Tagen
eins dieser dicken geschmeidigen Wesen an den Strand gespült
würde. Darauf musste er vorbereitet sein und die richtigen
Werkzeuge bereithalten. Jedoch plante er nicht im eigentlichen Sinn
– er dachte nämlich nicht so, wie ein Dürrer
vielleicht gedacht hätte –, doch dafür wurden seine
Handlungen und Entscheidungen von einem tiefen Verständnis der
Umwelt bestimmt.
    Während er die Hände arbeiten und diesen Klumpen aus
komprimierten Kreidezeit-Fossilien formen ließ, wie die
Hände seiner Vorfahren seit zweihundertfünfzigtausend
Jahren gearbeitet hatten, schaute er nach Westen, wo die Sonne
über dem Atlantik unterging und das Wasser in Brand setzte.
    Hinter ihm krochen Jahna und Millo unbemerkt zum Feuer, warfen
Muscheln hinein und verschlangen das salzige Fleisch.
     
    Die Tage vergingen, und der Frühling brachte Tauwetter. Das
Eis auf den Seen wurde gebrochen. Wasserfälle, die im Winter im
freien Fall erstarrt waren, wurden entfesselt. Selbst das zugefrorene
Meer taute wieder auf.
    Es wurde Zeit für die Zusammenkunft. Das war

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