Evolution
können.«
»Bleib mir vom Hals«, sagte Juna mit zitternder
Stimme.
Doch Cahl starrte sie unverwandt an, wie die Schlange das
Kaninchen.
Erleichtert hörte sie die Schritte der zurückkehrenden
Männer, deren bloße Füße im Dreck knirschten.
Die nackten Körper waren staubverkrustet, und sie waren
sichtlich erschöpft. Juna sah, dass das Dutzend Männer
außer ein paar Kaninchen und Ratten schon wieder mit leeren
Händen nach Hause gekommen war; größere Tiere waren
sehr selten.
Acta hatte Tori den feisten Arm um die Schultern gelegt. Juna wich
dem Blick des schlanken Jungen aus und hätte doch zu gern
gewusst, was er gerade dachte. Wie würde er wohl reagieren, wenn
sie ihm erzählte, was bei ihren unbeholfenen Spielchen
herausgekommen war?
Cahl wandte sich von den Mädchen ab, stand auf und hob den
Lederbeutel mit Bier über den Kopf. »Willkommen, ihr
Jäger!«
Acta ging zu ihm hin. Die Zunge hing dem Alten aus dem Mund, als
ob der schwere Sack göttlichen Nektar enthielte. »Cahl,
mein Freund. Ich hoffte, dass du hier wärst. Du bist ein
besserer Schamane als der alte Narr in der Hütte.«
Sion stockte bei dieser schnoddrigen Blasphemie der Atem.
Cahl reichte ihm den Bierbeutel rüber. »Du siehst so
aus, als ob du einen Schluck vertragen könntest.«
Acta schnappte sich den Beutel und drückte ihn an sich.
Zugleich erschien ein Anflug der alten Verschlagenheit in den tief
liegenden Schweinsäuglein. »Und die Bezahlung? Du siehst
selbst, wie arm wir dran sind. Wir haben kaum genug Fleisch für
uns. Aber…«
»Aber«, sagte Cahl gleichmütig, »ihr werdet
mein Bier trotzdem nehmen. Stimmt’s?« Und er starrte Acta
an, bis der den Blick senkte. Ein paar Männer raunten bei diesem
Zeichen von Schwäche missbilligend. Doch was Cahl sagte,
entsprach offensichtlich der Wahrheit. Er klopfte Acta leutselig auf
die Schulter. »Wir können uns später darüber
unterhalten. Ruh dich erstmal im Schatten aus. Und was mich
betrifft…«
»Nimm sie«, nuschelte Acta, ohne den Blick vom Bier zu
wenden. »Mach, was du willst.« Dann schlurfte er zur
Hütte der Männer. Die anderen erfolglosen Jäger warfen
das Fleisch vor die Hütten der Frauen und folgten Acta, um sich
auch einen hinter den Knorpel zu gießen. Bald hörte Juna
das Knurren des Schamanen, dessen Lebensgeister vom Biergeruch flugs
wieder geweckt wurden.
Cahl kam zu den Mädchen zurück. Er schüttelte den
Kopf. »Bei mir zu Hause würde man einen solchen Volltrottel
rausschmeißen.«
Sion bekam eine Gänsehaut bei dieser neuerlichen Beleidigung.
»Die Jungen leben bei den Männern in der
Männer-Hütte. Sie ist ein Ort der Weisheit, wo die Jungen
zu Männern werden. Und jeder Mann hat noch ein kleines Haus
für seine Frau, Töchter und die kleinen Söhne. Das ist
unsre Art zu leben. So haben wir immer schon gelebt.«
»Das ist vielleicht eure Art zu leben, aber nicht
meine«, sagte Cahl unverblümt.
Diese Worte weckten irgendwie Junas Neugier.
Das Einzige, was sie über die neuen Leute wussten –
außer dass sie begnadete Bierbrauer waren – war, dass
ihrer sehr viele waren. Unter den Frauen ging das Gerücht, dass
bei den Fremden kein Baby ausgesetzt wurde – kein einziges. Und
deshalb gab es auch so viele, obwohl niemand wusste, wovon sie
überhaupt lebten. Vielleicht streiften heute noch große
Herden durch ihre Täler und Ebenen, wie sie es in längst
vergangenen Zeiten getan hatten: in den Zeiten, von denen die
Legenden kündeten.
»Wen?«, fragte Sion leise.
»Wen?«
»›Nimm sie‹, hat Acta gesagt. Wen?«
»Ach so, seine Frau«, sagte Cahl. »Pepule…
Aha. Nun wird mir klar, wieso du dich so dafür interessierst.
Acta ist nicht dein Vater, aber Pepule ist deine Mutter, nicht
wahr?« Er grinste und schaute Juna mit diesem steinharten Blick
an. »Das macht es noch reizvoller. Während ich es ihr
besorge, werde ich an dich denken, Kleines.«
»Pepule trägt ein Kind in sich«, sagte Sion
kalt.
»Ich weiß.« Er grinste. »So mag ich sie
gerade. Geil, diese dicken Bäuche.« Wieder richtete er den
harten, berechnenden Blick auf Juna. Dann nahm er eine Prise
gemahlenen Korns aus ihrem Mörser und ging zur Hütte ihrer
Mutter.
Unzufrieden und irgendwie verängstigt überließ
Juna die Männer ihrem Trinkgelage und unternahm mit Sheb, ihrer
Großmutter, einen Streifzug durch die Landschaft. Die fast
sechzigjährige Sheb bewegte sich vorsichtig. In ihrem langen
Leben war sie noch nie verletzt oder ernstlich krank gewesen und
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