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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Da ist der Tempel von Castor und Pollux, und dort
der Tempel des Göttlichen Cäsar mit dem Augustusbogen
daneben…« Er trat in den Schatten einer Statue, eines
Reiterstandbilds aus Bronze, dessen Sockel Athalarich allein schon um
das Dutzendfache überragte. Er lehnte sich gegen den Marmor.
»Augustus sagte, er hätte Rom als eine Stadt aus
Ziegelsteinen vorgefunden und als eine Stadt aus Marmor hinterlassen.
Der weiße Marmor kommt aus Luna im Norden, und der bunte Marmor
aus Nordafrika, Griechenland und Kleinasien – früher waren
das nicht so exotische Orte wie heute…«
    Athalarich lauschte mit ausdruckslosem Gesicht seinem Mentor.
    Hier schlug das Herz Roms. Hier waren schon in der römischen
Republik die Geschicke der Stadt gelenkt worden. Seitdem hatten
Konsuln und Imperatoren wie Julius Cäsar und Pompeius diese alte
Stätte zu ihrem Ruhm verschönert, und der Bereich hatte
sich in ein Gewirr aus Tempeln, Prozessionswegen, Triumphbögen,
Basilikas, Ratshallen, Rostra und Freiflächen verwandelt. Die
kaiserlichen Residenzen auf dem Palatin thronten noch immer über
der Stadt als Symbol unumschränkter Macht.
    Doch nun waren Kaiser und Republikaner gleichermaßen von der
Bühne abgetreten.
    Athalarich hatte für diesen Tag seine beste Rüstung
angelegt, die Gürtelschnalle aus gravierter Bronze mit feinen
Punzierungen aus Silber und Gold und der goldenen Fibel mit
Silberfiligran, die den Umhang geschlossen hielt. Sein Barbaren-Schmuck, über den die Römer sich lustig zu
machen pflegten, glänzte selbst hier, im antiken Herzen ihrer
Hauptstadt, im grellen Licht der italienischen Sonne. Und damit er
nicht vergaß, woher er kam, trug Athalarich die Marke aus
gehämmertem Zinn um den Hals, die seinen Vater einst als Sklaven
ausgewiesen hatte.
    Er war stolz auf sich und auf den, der er vielleicht werden
würde. Und doch…
    Und doch war die schiere Größe der Stadt für
jemanden, der bisher nur die Dörfer Galliens kannte,
erstaunlich.
    Rom war vorwiegend eine Stadt aus Lehmziegeln, Holz und
Bruchsteinen; die vorherrschende Farbe war das kräftige Rot der
Dachziegel, mit denen die Mietskasernen gedeckt waren. Die
Bevölkerung war schon vor langer Zeit über die
Befestigungen der Altstadt hinausgeschwappt und sogar über die
weit gezogenen Mauern, die vor zwei Jahrhunderten zum Schutz vor der
drohenden Barbaren-Invasion errichtet worden waren. Es hieß,
dass bis zu einer Million Menschen in dieser Stadt gelebt
hätten, die über ein Imperium von hundert Millionen
geherrscht hatte. Diese Zeiten waren vergangen – die
niedergebrannten und verlassenen Vorstädte kündeten davon
–, doch selbst in dieser Phase des Verfalls war die Stadt noch
immer ein Ausbund an Gigantomanie. Es gab zwei Zirkusse, zwei
Amphitheater, elf Badehäuser, sechsunddreißig
Triumphbögen, fast zweitausend Paläste und tausend
Brunnen und Springbrunnen, die über nicht weniger als neunzehn
Aquädukte mit Tiber-Wasser gespeist wurden.
    Und im Herzen dieses Meers aus roten Ziegeln und schwärmender
Menschen befand sich eine große Insel aus Marmor: Marmor, der
nicht nur für Säulen und Statuen verwendet wurde, sondern
auch für Wandverkleidungen und sogar als
Straßenpflaster.
    Obwohl die weite Fläche des Forums mit Marktständen
übersät war, glaubte Athalarich eine große
Traurigkeit zu spüren. Heute befand die Stadt sich nicht einmal
mehr unter römischer Herrschaft. Italien wurde nun von einem
Skiren namens Odoaker regiert, der von aufständischen
germanischen Söldnern eingesetzt worden war – und Odoaker
hatte Ravenna, eine Stadt im nördlichen Marschland, als Residenz
auserkoren. Rom selbst war bereits zweimal eingenommen worden.
    Motiviert durch einen sublimen Sadismus, der ihn selbst
verwunderte, nahm Athalarich eine Bestandsaufnahme der Schäden
vor. »Schau die leeren Sockel. Die Statuen sind gestohlen
worden. Die Säulen sind umgestürzt und werden auch nicht
mehr aufgerichtet werden. Nun wird sogar schon der Marmor von den
Tempelwänden gerissen! Rom verfällt, Honorius.«
    »Natürlich verfällt Rom«, sagte Honorius
schroff und trat in den Schatten des Sockels. »Natürlich
verfällt die Stadt. Ich selbst verfalle auch.« Er hob die
leberfleckige Hand. »Und du auch, junger Athalarich, trotz
deiner Überheblichkeit. Und doch bin ich noch stark. Es gibt
mich noch, nicht wahr?«
    »Ja, es gibt dich noch«, sagte Athalarich
gemäßigter. »Und Rom gibt es auch noch.«
    »Glaubst du, dass die Natur vergeht, Athalarich? Dass

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