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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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unterteilte: Land
hatte in erster Linie einen wirtschaftlichen und keinen ideellen
Wert. Der Ausgang stand von vornherein fest. Die Jäger und
Sammler waren zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen: Zehn
mangelernährte, schwächliche Bauern vermochten immer einen
gesunden Jäger zu überwältigen.
     
    Nach drei Tagen erreichten sie eine Elendssiedlung, eine
Ansammlung von Hütten und Verschlägen. Juna ließ
ebenso angespannt wie gleichgültig den Blick schweifen.
»Was wollen wir überhaupt hier? Wir sollten noch ein
Stück gehen, ehe es dunkel wird.«
    Keram legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Ich
sagte mir, dass du vielleicht hier vorbeischauen wolltest. Juna,
erkennst du diesen Ort denn nicht mehr?«
    »Das solltest du aber«, sagte eine seltsam vertraute
Frauenstimme.
    Juna drehte sich um. Eine Frau humpelte auf sie zu; sie hatte sich
ein altes Stück Leder um den Kopf gewickelt. Junas Gedanken
überschlugen sich. Die Worte hatten seltsam geklungen –
natürlich, weil sie in Junas Muttersprache ertönt waren, einer Sprache, die sie an dem Tag zum letzen Mal gehört
hatte, als sie Cahl aus dem Dorf gefolgt war.
    Nun erkannte Juna auch das Gesicht der Frau. Es war Sion, ihre
ältere Schwester. Eine namenlose Sehnsucht überkam sie.
»Ach, Sion…« Sie ging mit ausgestreckten Armen auf sie
zu.
    Doch Sion wich zurück. »Nein! Bleib weg.« Sie
verzog das Gesicht. »Die Krankheit hat mich nicht umgebracht,
wie sie so viele andere umgebracht hat, aber ich trage sie vielleicht
noch immer in mir.«
    »Sion… Wer…?«
    »Wer gestorben ist?« Sion stieß ein bellendes,
bitteres Lachen aus. »Du solltest lieber fragen, wer
überlebt hat.«
    Juna schaute sich um. »Und hier haben wir wirklich einmal
gelebt? Es ist nichts mehr so wie früher.«
    Sion schnaubte. »Die Männer trinken Bier und Met. Die
Frauen arbeiten auf den Farmen von Keer. Niemand geht heute mehr auf
die Jagd, Juna. Die Tiere sind vertrieben worden, um Platz für
die Felder zu machen. Wir schlagen uns so durch. Manchmal singen wir
die alten Lieder für die Farmer. Dafür geben sie uns dann
eine Extraration Bier.«
    »Wo ist der Schamane?«
    »Schamanen sind nicht mehr erlaubt. Der letzte hat sich zu
Tode gesoffen, der fette Trottel.« Sie zuckte die Achseln.
»Das macht aber keinen Unterschied. Der Schamane könnte uns
sowieso nicht mehr helfen. Die Schamanen wissen nämlich nicht,
wie die Weizenernte ausfällt, sondern die Farmer und ihre Herren
aus der Stadt mit ihren Schnüren und den schmalen Augen, mit
denen sie in den Himmel schauen…«
    Bei der Krankheit hatte es sich um Masern gehandelt.
    Die Menschheit war natürlich auch in der Vergangenheit immer
wieder von Krankheiten heimgesucht worden, von denen Lepra, Pocken
und Gelbfieber zu den ältesten Seuchen zählten.
    Viele Krankheiten wurden durch Bakterien hervorgerufen, die sich
im Erdboden oder in Tierpopulationen tummelten – so wurde
Gelbfieber beispielsweise von afrikanischen Affen übertragen.
Jedoch hatten die Menschen Zeit gehabt – im evolutionären
Maßstab –, sich gegen die meisten Krankheiten und
Parasiten zu immunisieren.
    Die Entstehung der neuen dichten Gemeinschaften hatte aber den
Ausbruch neuer Krankheiten – Volkskrankheiten – wie
Masern, Röteln, Windpocken und Grippe begünstigt. Im
Gegensatz zu den älteren Krankheiten vermochten die für die
neuen Seuchen verantwortlichen Mikroben nur im Körper lebendiger
Menschen zu überleben. Von solchen Krankheiten wurden die
Menschen betroffen, nachdem sie sich zu hinreichend dichten und
mobilen Gruppen vereinigt hatten, die eine Ausbreitung überhaupt
erst ermöglichten.
    Wenn die Mikroben Gruppen infizierten, dann mussten sie aber auch von Gruppen stammen. Und das stimmte auch: Es waren Gruppen
von Tieren, die geselligen Herdentiere, in deren unmittelbarer
Nähe die Menschen nun lebten – Tiere, in denen die
Krankheiten schon lange virulent waren. Tuberkulose, Masern und
Windpocken sprangen von Rindern auf Menschen über, Grippe von
Schweinen, Malaria von Vögeln. Und mit der Errichtung von
Kornspeichern erreichten die Überträger von Krankheiten
– Ratten und Mäuse, Flöhe und Wanzen – eine
ungeahnte Populationsdichte. Immerhin entwickelten die
Überlebenden eine gewisse Widerstandsfähigkeit, obwohl
diese Mechanismen unvollkommen waren und Nebenwirkungen hatten. Die
Mechanismen der Anpassung arbeiteten im Vergleich zu den rasanten
Veränderungen der menschlichen Kultur zu langsam, um diese
Mängel zu

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