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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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überlebt: Insekten, Amphibien, Reptilien –
und Proto-Säugetiere, reptilienartige Kreaturen, die schon
Merkmale von Säugetieren aufwiesen. Sie waren plumpe,
hässliche und unfertige Geschöpfe. Doch aus diesen paar
Spezies würden schließlich die Säugetiere hervorgehen
– einschließlich der Menschen – und die Linien der
Vögel, Krokodile und Dinosaurier.
    Wie als Reflex auf die unendliche Weite der Landschaft, in der sie
lebten, waren die Diplos gewachsen. In diesen Zeiten mit einer
gemischten Vegetation, deren Bestandteile noch dazu ständig
wechselten, gereichte diese Größe ihnen sicher zum
Vorteil. Mit dem langen Hals vermochte ein Diplo methodisch eine
große Fläche abzuweiden, ohne dass es sich vom Fleck
bewegen musste. Es fraß den gesamten Bodenbewuchs ab,
einschließlich der unteren Äste der Bäume.
    In den klugen Ornithen war den Diplos jedoch eine neue Gefahr
erwachsen, eine Gefahr, auf die die Evolution sie nicht vorbereitet
hatte. Jedoch hatte die Matriarchin in einem über
hundertjährigen Leben eine gewisse Weisheit erlangt, und die vom
Alter blutunterlaufenen Augen kündeten vom Verständnis der
plötzlich auftauchenden Gefahren, die auf ihre Art lauerten.
     
    Nun war für die geduldigen Ornithen die Gelegenheit
gekommen.
    Die Diplos weideten sich noch immer im verwüsteten
Ginkgo-Hain. Sie hatten sich sternförmig formiert. Die
Köpfe auf den langen Hälsen wanderten wie die Klauen
mechanischer Kirschpflücker über die verstreuten
Blätter. Die Jungtiere hatten sich in der Nähe versammelt,
waren in diesem Moment aber von den Erwachsenen ausgeschlossen.
    Ausgeschlossen, vergessen, schutzlos.
    Stego guckte sich ein Diplo-Junges aus. Es war kleiner als die
anderen, nicht größer als ein ausgewachsener Elefant
– ein richtiger Kümmerling eben. Es hatte Mühe, sich
gegen die anderen durchzusetzen. Auf der Suche nach einem Platz an
der Futterstelle streifte es mit ruderndem Kopf am Rand der Herde
entlang.
    Es gab keine echte Loyalität unter den Diplos. Die Herde war
ein reiner Zweckverband und kein fürsorglicher Familienverbund.
Diplos legten ihre Eier am Waldrand ab und überließen sie
dann sich selbst. Die überlebenden Jungen hielten sich in der
Deckung des Waldes auf, bis sie groß genug waren, um sich ins
offene Land hinauszuwagen und Herdenanschluss zu suchen.
    Die Herdenbildung war strategisch sinnvoll: Die Diplos boten sich
durch die schiere Präsenz gegenseitig Schutz. Zumal die Herden
frisches Blut brauchten, um ihren Bestand zu sichern. Und selbst wenn
ein Räuber sich ein Junges holte, war es auch nicht weiter
schlimm. In den endlosen Wäldern Pangäas fand sich schnell
ein neues, das seinen Platz einnahm. Es war, als ob die Herde solche
Verluste als Tribut hinnähme, den sie für den langen Marsch
durch die urzeitlichen Wälder entrichten musste.
    Und heute sah es so aus, als ob das schwache Weibchen diesen
Tribut zahlen würde.
    Lauscher und Stego wickelten die Diploleder-Peitschen von den
Hüften ab. Mit den Peitschen und wurfbereiten Speeren krochen
sie durch das Gestrüpp aus Schösslingen und Farnen, das am
Waldrand wucherte. Selbst wenn die Diplos sie sahen, würden sie
vielleicht nicht reagieren; die evolutionäre Alarmprogrammierung
der Diplos umfasste nämlich keine Alarmsignale für die
Annäherung zwei so kleiner Räuber.
    Es entspann sich ein stummes Gespräch in Form subtiler
Gesten, Kopfnicken und Augenkontakts.
    Der da, sagte Stego.
    Ja. Schwach. Jung.
    Ich werde auf die Herde zulaufen. Ich werde die Peitsche
schwingen. Versuche sie nervös zu machen. Den Kümmerling
von ihnen zu trennen.
    Einverstanden. Ich starte den Angriff…
    Es wäre eigentlich Routine gewesen. Als die Ornithen sich
anschlichen, stoben jedoch Coelusaurier davon, und Pterosaurier
erhoben sich mit schwerem Flügelschlag in die Luft.
    Stego zischte. Lauscher drehte sich um.
    Und schaute einem anderen Ornithen in die Augen.
    Lauscher sah, dass die Fremden zu dritt waren. Sie waren etwas
größer als Lauscher und Stego. Sie waren stattliche Tiere
mit einem prächtigen Kamm aus dekorativen Schuppen, der sich
über den Hinterkopf und Nacken zog. Lauscher spürte, wie
ihre Stacheln sich aufstellten, als der Körper einem uralten
Instinkt folgte.
    Doch diese Ornithen waren nackt. Sie hatten keinen Gürtel aus
geflochtener Rinde um die Hüften wie Lauscher; sie hatten weder
Peitschen noch Speere, und ihre langen Hände waren leer. Sie
gehörten nicht zu Lauschers Jagd-Nation, aber sie

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