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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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gelebt habe. Gesichtslos.«
    »Elisha!«, schrie Joan.
    Er zog an der Schnur, als ob er einen Rasenmäher startete.
Ein Blitz zuckte an seiner Hüfte auf, und ein Gürtel aus
Licht legte sich streiflichtartig um ihn. Dann löste die obere
Hälfte seines Körpers sich von der unteren. Als er in der
Mitte getrennt wurde, stieg ein stechender Gestank nach verbranntem
Fleisch und Kot auf.
    Alyce klammerte sich an Joan. »O Gott, o Gott.«
    Der Rauch verdichtete sich und nahm ihnen die Sicht. John hustete
wie ein Kettenraucher. Der Schmerz überkam sie erneut und schoss
durch Unterleib und Rücken. Sie hielt sich an Alyce fest.
»Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, wie maladaptiv
kollektiver Selbstmord ist?«
    »Um Gottes willen, Joan…«
    »Ich meine, für den Selbstmord einer Einzelperson kann
es aus biologischer Sicht manchmal eine Rechtfertigung geben.
Vielleicht werden ihre Angehörigen durch Selbstmord von einer
Last befreit. Aber welchen biologischen Sinn hätte ein
Gruppenselbstmord? Die Fähigkeit, an kulturelle Diktate zu
glauben, ist adaptiv. Das muss so sein, oder wir würden sie gar
nicht erst haben. Doch manchmal läuft der Mechanismus aus dem
Ruder…«
    »Wir sind verrückt. Ist es das, was Sie sagen wollen?
Dass wir alle verrückt sind. Da stimme ich Ihnen zu.«
    »Ma’am, bitte kommen Sie mit mir.« Ein Schemen
erschien vor ihr. Er sah aus wie ein Soldat in einem Raumanzug, der
nach ihr griff.
    Erneut schoss Schmerz durch sie und löschte das klare
Denkvermögen aus. Sie fiel gegen Alyce Sigurdardottir. Sie
hörte eine weitere Explosion. Sie glaubte, sie käme von der
Militäroder Polizeiaktion.
    Aber sie irrte sich. Das war Rabaul gewesen.
     
    Als das Meer in die Magmakammer eingedrungen war, wurde die
Explosion unvermeidlich.
    Magmabrocken wurden schneller als der Schall in die Luft
geschleudert und erreichten eine Höhe von bis zu fünfzig
Kilometern. Dort zerbrachen sie beim Erstarren in Fragmente, die von
winzigen Aschepartikeln bis zu Brocken mit einem Durchmesser von
einem Meter reichten. Durchsetzt wurde dieses Gemisch von
Trümmerstücken des zerstörten Bergs. Diese Felsbrocken
waren weit über die Troposphäre hinaus geschleudert worden,
weit über die Gipfelhöhe von Flugzeugen und Ballons und
sogar über die Ozonschicht hinaus. Die Bruchstücke von
Rabaul vermengten sich mit Meteoriten und verglühten. Es war ein
Himmel voller Steine.
    Und auf der Erde breitete die Schockwelle sich mit doppelter
Schallgeschwindigkeit von der zerstörten Caldera aus. Man
hörte sie erst, als sie schon da war, und sie machte alles auf
ihrem Weg dem Erdboden gleich: Häuser, Tempel, Bäume und
Brücken. Auf ihrem Durchgang gab sie Energie an die Luft ab,
verdichtete sie und heizte sie auf zu enormen Temperaturen. Alles
Brennbare ging in Flammen auf.
    Die Menschen sahen die Schockwelle kommen, aber sie vermochten sie
nicht zu hören und schon gar nicht vor ihr zu fliehen. Sie
verbrannten einfach wie ein vom Blitz getroffener Baum. Und das war
erst der Anfang.
     
    Soldaten in Monturen wie Raumanzügen trugen Joan aus der
raucherfüllten Bar und aus dem Hotel ins Freie. Man legte sie
auf eine Trage und beförderte sie im Laufschritt zum Parkplatz.
Um sie herum herrschte hektische Betriebsamkeit: Menschen rannten
umher, Fahrzeuge rasten übers Flugfeld und Helikopter ratterten
in einem orangefarbenen Himmel.
    Dann verfrachtete man sie in einen Kleinbus. Ein Krankenwagen? Eins, zwei, drei, hoch. Die Trage rutschte in den Innenraum
des Fahrzeugs neben eine Art schmaler Koje. Die Wände waren mit
einer unbekannten Ausrüstung gesäumt, die aber nicht piepte
und summte, wie sie es aus den Krankenhaus-Seifenopern kannte, die
sie früher so gern gesehen hatte.
    Sie wedelte mit der Hand. »Alyce.«
    Alyce nahm ihre Hand. »Ich bin hier, Joan.«
    »Ich fühle mich wie eine Amphibie, Alyce. Ich schwimme
in Blut und Urin, aber ich atme die Luft der menschlichen Kultur.
Weder Fleisch noch Fisch…«
    Alyces eingefallenes Gesicht erschien über ihr. Sie wirkte
abwesend und ängstlich zugleich. »Was? Was haben Sie
gesagt?«
    »Wie spät ist es?«
    »Joan, sparen Sie Ihren Atem. Sie werden ihn noch brauchen;
ich spreche aus Erfahrung.«
    »Ist es Tag oder Nacht? Ich habe jedes Zeitgefühl
verloren. Anhand des Himmels vermag ich es auch nicht zu
sagen.«
    »Meine Uhr ist kaputt. Nacht, glaube ich.«
    Jemand machte sich an ihren Beinen zu schaffen – schnitt die
Kleidung auf? Der Krankenwagen setzte sich in

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