Evolution
erodiert und spurlos verschwunden waren.
Eine halbe Milliarde Jahre nach dem Tod des letzten echten
Menschen war ein neuer Superkontinent entstanden. Er wurde von einer
Wüste dominiert, die so rot war wie das Herz des alten
Australien und glich einem riesigen Schild, das am blauen Antlitz der
Erde befestigt war. Auf diesem Neu-Pangäa gab es weder
natürliche Hindernisse noch Seen oder Bergketten. Heute war es
ganz egal, wohin man ging, ob vom Pol zum Äquator oder von Ost
nach West. Es sah überall gleich aus. Und der Staub war auch
überall. Selbst die Luft war mit rotem Staub geschwängert,
der von den regelmäßigen Sandstürmen aufgewirbelt
wurde und den Himmel in eine milchig-trübe Kuppel verwandelte.
Diese Welt hatte mehr Ähnlichkeit mit dem Mars als mit der
Erde.
Aber die Sonne war eine große lodernde Scheibe, die Hitze
und Licht auf die Erde schleuderte. Sie war viel heller als in der
Vergangenheit. Jeder menschliche Beobachter hätte sich im Vorhof
der Hölle gewähnt.
Unter dem grellen Licht lastete die Hitze Tag und Nacht auf dem
Land. Es gab keine Geräusche außer dem Wind und dem
Schaben der paar Lebewesen; nichts deutete darauf hin, dass es jemals
anders ausgesehen hätte auf diesem roten Planeten. Das Land
fühlte sich leer an; es war eine riesige Arena hallender Stille,
eine Bühne, von der die Darsteller abgetreten waren.
Tief unter dem Staub, in dem Ultima wühlte, lag – unter
den Ablagerungen einer halben Milliarde Jahren, unter dem Salz und
Sandstein von Neu-Pangäa – das Gebiet, das man als Montana
gekannt hatte. Ultima war nicht oberhalb von Hell Creek, wo die
Knochen von Joan Usebs Mutter in den Schichten, die sie so
sorgfältig durchsucht hatte, sich schließlich mit denen
der Dinosaurier und urzeitlichen Säugetieren vereinigt
hatten.
Ultima wusste nichts von ihrem besonderen Platz in der Geschichte
und verstand ihn noch viel weniger. Sie gehörte nämlich zu
den Letzten ihrer Art.
Ultima ging nach Hause. Ihr Zuhause war eine Grube im harten
Gestein. Sie bot ein wenig Schutz vorm Wind. Hier fristeten Ultima
und ihre Art ihr Dasein.
Die Grube mutete künstlich an. Der Boden war glatt, und die
terrassierten Wände waren steil. Die Grube war nämlich ein
Steinbruch, den menschliche Wesen vor einer halben Milliarde Jahren
angelegt und tief ins Urgestein getrieben hatten. Selbst nach dieser
langen Zeit, nachdem Berge entstanden und vergangen waren, war der
Steinbruch noch fast unversehrt – ein stummer Zeuge menschlicher
Tatkraft.
Vereinzelte Bäume wuchsen auf dem Boden der Grube. Sie
standen majestätisch da, wie Wächter und wurden von
Termiten-Kolonien umringt, deren Hügel sich überall
auftürmten. Es waren kleine, hässliche Bäume, die der
Zeit trotzten. Hier lebte kaum etwas außer den Leuten und
unzähligen winzigen Kreaturen, die im Staub wühlten.
Als Ultima die Wände der Grube hinunterstieg, drehte der Wind
und wehte nun aus Westen, aus der Richtung des Binnenmeers.
Allmählich stieg die Luftfeuchtigkeit an. Und schließlich
türmten sich über den abgetragenen Bergen im Westen dunkle
Gewitterwolken auf.
Ultima schaute in den Himmel. Seit Ultimas Lebzeiten hatte es hier
noch nicht geregnet. Die meisten Wolken, die vom fernen Meer kamen,
hatten sich längst abgeregnet, bevor sie einen Ort wie diesen im
Innern des Superkontinents erreichten. Es bedurfte schon eines sehr
starken Sturms, um in diese endlosen Weiten der trockenen Ebene
einzubrechen – eines ›Jahrhundert-Sturms‹. Und genau
ein solcher Sturm zog nun auf. Man spürte es, dass etwas nicht
stimmte – es lag in der Luft.
Die Leute eilten zu ihrem Baum zurück und
flüchteten sich in den Schutz der Äste. Für ihre
Begriffe eilten sie, aber sie bewegten sich dennoch mit einer
behäbigen Trägheit, als ob sie durch die flimmernde Luft
wateten.
Ultima sah mit ihren zehn Jahren aus wie ein kleiner Affe. Sie
hatte lange Gliedmaßen, einen dünnen Rumpf und schmale
Schultern: Selbst jetzt, bei diesen entfernten Nachfahren der
Menschen, hatte der grundlegende Bauplan der Primaten noch Bestand.
Der schlanke Leib war mit einem dichten roten Fell überzogen,
das so rot war wie der Sand. Sie hatte einen kleinen Kopf mit einem
dicken Brauenwulst und einem beweglichen, ausdrucksstarken Gesicht
– es war ein erstaunlich menschliches Gesicht. Kleine Hautlappen
in der Art von Augenlidern bedeckten Augen, Nase, Anus und Vagina, um
die wertvolle Feuchtigkeit zu speichern. Sie hatte eine hohe Stirn,
fast als ob
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