Evolution
der
Überlebenden so umformen, dass sie die zerstörten
ökologischen Systeme auszufüllen vermochten.
Jedoch war das Leben nicht unbegrenzt anpassungsfähig.
Auf Erinnerungs Erde gab es unter den neuen Spezies viele
›Novitäten‹. Und doch waren sie alle Variationen alter
Themen. Die neuen Tiere waren allesamt anhand des uralten
Vierfüßer-Bauplans erschaffen worden, dem Erbe der ersten
nach Luft schnappenden Fische, die aus dem Schlick gekrochen waren.
Und als Kreaturen mit einer Wirbelsäule waren sie alle Teil
eines Phylums – ein riesiges Reich des Lebens.
Der erste Triumph des mehrzelligen Lebens war die so genannte
Kambrium-Explosion gewesen, die etwa fünfhundert Millionen Jahre
vor der Entstehung der Menschheit erfolgt war. In einem Ausbruch
genetischer Innovation waren sage und schreibe hundert Phyla
erschaffen worden: Jedes Phylum umfasste eine signifikante Gruppe von
Spezies, die jeweils einen Entwurf eines Körper-Bauplans
repräsentierten. Alle mit einem Rückgrat ausgestatteten
Lebewesen gehörten zum Phylum der Chordaten. Die Arthropoden,
das zahlenmäßig größte Phylum, umfasste Wesen
wie Insekten, Tausendfüßler, Spinnen und Krabben. Und so
weiter. Dreißig Phyla hatten den ersten Kataklysmus
überstanden.
Seitdem waren Arten entstanden und vergangen, und das Leben hatte
immer wieder Katastrophen und Aufschwünge erlebt. Es war jedoch
kein einziges neues Phylum mehr entstanden, kein einziges – nicht einmal nach dem Pangäa-Auslöschungsereignis, dem
bisher größten Aderlass. Und selbst zum Zeitpunkt dieses
urzeitlichen Ereignisses war die Fähigkeit des Lebens zur
Erneuerung schon stark eingeschränkt.
Der Stoff des Lebens war wie Knetmasse, die seelenlosen Prozesse
der Variation und Selektion waren erfinderisch. Aber nicht unendlich
erfinderisch. Die Fähigkeiten nahmen mit der Zeit ab.
Es war eine Frage der DNA. Im Zeitablauf hatte die molekulare
Software, die die Entwicklung von Lebewesen steuerte, sich
nämlich selbst verändert und war kompakter, robuster und
kontrollierter geworden. Es war, als ob jedes Genom immer wieder eine
›Modellpflege‹ erfahren hätte, wobei jedes Mal
Gen-Müll und Defekte aussortiert und die Kohärenz des
Ganzen verbessert wurden – doch zugleich nahm das Potenzial
für wesentliche Veränderungen immer mehr ab. Das uralte,
durch die ›Innenrevision‹ der Genome erstarrte Leben war zu
keinen großen Neuerungen mehr fähig.
Diese Selbstbeschränkung war eine verpasste Chance. Und das
Leben vermochte auch nicht mehr allzu viele Hammerschläge
einzustecken.
Das Licht am Himmel war seltsam. Jedoch kam Erinnerung nach einer
instinktiven Kalkulation zu dem Schluss, dass keine Bedrohung von ihm
ausging. Aber da irrte sie sich. Purga, die den Teufelsschweif in
ähnlicher Weise über sich hatte hinweg ziehen sehen,
hätte ihr das sagen können.
Noch bevor die Sonne den Horizont berührte, erreichte sie den
Wald im Windschatten der vulkanischen Berge und hatte nach vielen
Tagen endlich ihr Ziel erreicht. Erinnerung schaute zu den hohen
Bäumen vor sich auf und zum Blätterdach, das dem Himmel
entgegenstrebte. Sie glaubte, schlanke Gestalten dort herumklettern
zu sehen, und diese schemenhaften Klumpen waren vielleicht
Nester.
Das waren nicht ihre Leute. Aber es waren Leute, und vielleicht
waren sie wie sie.
Sie sprang vom Boden hoch und kletterte ins tröstliche
Grün der Baumwipfel hinauf.
Etwas flog an ihrem Kopf vorbei. Es war ein fliegender Fisch, der
vom Meer kam. Sie sah, wie er mit kräftigen Schlägen der
Flossen-Flügel zwischen den Bäumen hindurch flog und sich
unbeholfen in einem Nest niederließ, wobei er pfeifend Luft in
eine primitive Lunge sog.
KAPITEL 19
EINE SEHR FERNE ZUKUNFT
Montana, Zentrales Neu-Pangäa,
ca. 500 Millionen Jahre in der Zukunft
I
Ultima grub missmutig im Schmutz und hoffte darauf, einen Skorpion
oder Käfer zu finden. Sie war ein orangefarbenes Fellknäuel
auf der rostroten Oberfläche.
Es war dies eine flache, trockene Ebene aus rotem Gestein und
Sand. Es war, als ob das Land mit einer riesigen Klinge abgeschabt
und das Urgestein vom Wind mit einer kupfernen Patina überzogen
worden wäre. Einst hatten Berge sich im Westen erhoben,
purpurgraue Kegel, an denen das vom eintönig flachen Land
ermüdete Auge sich festzuhalten vermocht hätte. Doch der
Wind hatte schon vor langer Zeit die Berge abgetragen und
weiträumig verstreute Felsbrocken auf den Ebenen hinterlassen,
die ihrerseits auch
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