Evolution
Linie, die zurückwich.
Das Pflanzen-Floß war ins Meer gespült worden, hinaus
in den weiten Atlantik – mitsamt der Fracht aus Anthros, dem
Dickbauch, den Rostroten und allen anderen.
II
Nach den Tagen von Noth hatte die Geometrie der rastlosen Welt
sich stetig verändert und bestimmte weiterhin das Schicksal der
Kreaturen, die die auseinanderdriftenden Kontinente
bevölkerten.
Die beiden großen Risse, die den Untergang von Pangäa
eingeleitet hatten – das ost-westliche Tethys-Meer und der
nord-südliche Atlantik – schlossen respektive erweiterten
sich. Afrika war auf Kollisionskurs mit Europa, derweil Indien
nordwärts driftete und Asien rammte, wodurch der Himalaya
aufgefaltet wurde. Doch die Berge waren kaum entstanden, als der
Regen und die Gletscher sich ans Werk machten und das Gebirge durch
Aushöhlung und Erosion wieder ins Meer spülten: Auf diesem
turbulenten Planeten floss Gestein wie Wasser, und Gebirgszüge
wurden traumgleich aufgefaltet und abgetragen. Die sich vereinigenden
Kontinente schnürten den paradiesischen Fluss von Tethys ab.
Reste dieses riesigen Meeres haben sich als Schwarzes und Kaspisches
Meer sowie Aral-See und Mittelmeer in die Neuzeit
hinübergerettet.
Als Tethys versiegte, setzte eine Dürre am Äquator ein.
Einst hatte es Mangrovenwälder in der Sahara gegeben. Nun
spannte sich im alten Bett von Tethys eine
Halbwüsten-Vegetationszone um Nordamerika, das südliche
Eurasien und das nördliche Afrika.
Inzwischen zerbrach auch die große Landbrücke, die den
nördlichen Atlantik abgetrennt und von Nordamerika über
Grönland und Großbritannien nach Nordeuropa sich erstreckt
hatte. Nun ging der Atlantik ins Polarmeer über. Als die alte
Ost-West-Passage geschlossen wurde, öffnete sich ein neuer Kanal
von Süden nach Norden.
So änderten sich auch die Meeresströmungen.
Die Meere waren riesige Energiereservoirs – unruhig, instabil
und ständig in Bewegung. Und die Meere wurden von
Strömungen durchzogen, unsichtbaren Flüssen, gegen die
jeder Fluss an Land ein bloßes Rinnsal war. Die Strömungen
wurden durch die Sonnenwärme und die Erddrehung erzeugt; in den
oberen paar Metern der Weltmeere war mehr Energie gespeichert als in
der gesamten Atmosphäre.
Nun wurden die mächtigen äquatorialen Strömungen,
die einst im Tethys-Meer vorgeherrscht hatten, unterbrochen. Zugleich
prägten sich auch schon die Strömungen aus, die den sich
verbreiternden Atlantik dominieren würden: ein Vorläufer
des Golfstroms, ein mächtiger Fluss mit einer Breite von sechzig
Kilometern und der dreihundertfachen Strömungsenergie des
Amazonas floss von Süden nach Norden.
Diese Änderung der Zirkulationsmuster wirkte sich auch auf
das Klima des Planeten aus. Die Äquatorialströmungen
bewirkten nämlich eine Erwärmung, die interpolaren
Nord-Süd-Strömungen hingegen eine Abkühlung der
Erde.
Und zu allem Überfluss hatte Antarktika sich über den
Südpol geschoben und wurde zum ersten Mal seit zweihundert
Millionen Jahren von einer Eiskappe bedeckt. Gewaltige kalte, polare
Meeresströmungen entstanden in den südlichen Gewässern
und speisten die großen, nordwärts gerichteten
Strömungen des Atlantiks.
Es hatte ein Paradigmenwechsel stattgefunden – der Beginn
einer starken planetaren Abkühlung, die sich bis ins Zeitalter
der Menschen und darüber hinaus fortsetzen sollte.
Auf dem ganzen Planeten zogen die alten Klimagürtel sich zum
Äquator zurück. Tropische Vegetation überlebte nur in
den Äquatorialbreiten. Im Norden erschien eine neue Art von
Ökologie, eine gemäßigte Zone mit Mischwald aus
Koniferen und Laubbäumen. Dieser Bereich bedeckte einen Teil der
nördlichen Regionen und erstreckte sich von den Tropen über
Nordamerika, Europa und Asien bis zur Arktis.
Der klimatische Kollaps löste ein neues Artensterben aus, das
Paläobiologen später als den ›Großen
Schnitt‹ bezeichneten. Es war ein lang anhaltendes,
multiples Ereignis. In den Meeren wurde die Plankton-Population
wiederholt dezimiert. Viele Gastropoden- und Muschelarten
verschwanden.
Und an Land wurden die Säugetiere nach einer dreißig
Millionen Jahre währenden Erfolgsgeschichte vom ersten
Massensterben heimgesucht. Die Säugetierpopulation wurde um die
Hälfte reduziert. Die exotischen Spezies aus Noths Tagen wurden
dahingerafft. Dafür entwickelten sich neue, größere
Pflanzenfresser mit kräftigen Mahlzähnen, die die grobe
Vegetation zu zerkleinern vermochten, die für das
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