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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ransom
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Kopf hängen. Sie zog ihre Shorts hoch, taumelte langsam zurück und lehnte sich gegen die Wand. An Hals und Gesicht hatte sie rote Flecken, pinkfarbene Rorschach-Muster über den braunen Sommersprossen. Die Knie gaben unter ihr nach, und sie rutschte an der Wand herunter, die Augen fest auf mich gerichtet.
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Ich sagte: Du kannst alles von mir haben.«
    Ich schüttelte den Kopf. Was wir hier taten, war aus mindestens fünf verschiedenen Gründen vollkommen falsch. Oder auch goldrichtig. Mein Stammesrecht. Und ihres vielleicht auch.
    »Ich muss jetzt vielleicht auf dein Angebot mit der Dusche zurückkommen«, sagte sie.
    Man hörte das Wasser durch die Leitungen in der Wand laufen. Ich ging ins Schlafzimmer, knipste das Licht an und zog mir ein frisches weißes T-Shirt und Jeans an, die ich seit einem Jahr nicht mehr getragen hatte. Ich ging um den Ballsaal herum zum kleineren Gästebad, putzte mir die Zähne, wusch mir das Gesicht und versuchte, meine Augen mit kleinen Geysiren von Visine auszuspülen. Das linke sah aus, als wäre eine Ader geplatzt, voll roter Tinte im Augenwinkel, der eigentlich weiß sein sollte. Lass die Finger vom Alkohol, James.
    Mit einem Glas Wasser tappte ich durch die Diele und fragte mich, was zum Teufel wir jetzt tun sollten. Ich fühlte eine seltsame Leichtigkeit. Sie lebte nebenan, wir konnten das jederzeit wiederholen. Was, wenn wir füreinander geschaffen waren? Was, wenn die elende Hure Schicksal uns zusammengeführt hatte und wir dazu bestimmt waren, uns gegenseitig zu retten? Neben Lucy war Annette die erste Frau, mit der ich seit Staceys Tod intim gewesen war, und, um ehrlich zu sein, die beiden Erfahrungen waren so grundverschieden, dass man sie kaum vergleichen konnte. Wenn die eine ein Glühwürmchen gewesen war, dann war die andere das Licht selbst.
    Lucy. Ein Anflug von Schuldbewusstsein – ich war letztes Wochenende mit ihr zum Abendessen verabredet gewesen. Uncool, James. Ich musste sie morgen anrufen und mich entschuldigen, ohne einen neuen Termin auszumachen. Während Annettes Anwesenheit hier sich wie etwas vollkommen Neues, Unrealistisches anfühlte, kam sie mir gleichzeitig wie ein Verrat vor. Ich hatte vergessen, Waffeln zu Staceys Todestag zu backen. Ich hatte nichts zu ihrem Gedenken getan. Im Gegenteil, ich hatte sie in den Armen einer anderen Frau noch mehr verloren. Während ich am Ballsaal vorbeiging, löste das Knarzen der Türangeln Gänsehaut bei mir aus und schmerzte in meinen Ohren.
    Ich blieb stehen. Ich wandte mich um.
    Die linke Tür öffnete sich einladend nach innen. Ich war mir sicher, dass beide vor ein paar Minuten noch geschlossen gewesen waren. Jetzt standen sie einen Spaltbreit offen, gerade groß genug, um hindurchzuschlüpfen, eine Säule aus Dunkelheit zwischen zwei weißen Türen. Um die Ecke rauschte die Dusche. Ich trank einen Schluck Wasser aus meinem Glas und starrte die offene Tür an. Alte Häuser, unebene Böden. Die tektonischen Platten unter Kalifornien, die sich millimeterweise gegeneinander verschoben. Zugluft vielleicht. Aber das waren alles Ausreden. Ich hatte keinen Erdstoß gespürt, und hier oben gab es keinen Luftzug. Der Ballsaal war eine versiegelte, fensterlose Gruft mitten im Haus.
    Ich ging in der vollen Absicht darauf zu, die Türen weit aufzutreten und das Licht einzuschalten. Ein letztes Mal würde ich den Raum inspizieren, nur zur Sicherheit. Aber je näher ich dem offenen Spalt kam, desto schneller ging mein Puls, und ich fühlte, wie das Wesen im Ballsaal mir entgegenrauschte, die kalkweiße Hand erhoben, um mein Handgelenk zu packen, während ich den Türknauf …
    Ich keuchte, schlug die Tür zu und vergoss das Wasser über meine bloßen Füße. Die Türen drückten sich nach draußen zur Diele hin durch, als versuchte eine eingesperrte Macht zu entweichen, rasteten dann ein und fielen ins Schloss.
    Ich ging rasch zur Treppe. Ich sah mich nicht um.
    Unten im Wohnzimmer entspannte ich mich wieder ein wenig. Das Duschwasser summte in den Wänden. Annette ließ sich Zeit. Ich wollte jetzt nur noch, dass sie nach Hause ging, damit ich schlafen konnte. Es war erst neun oder zehn, aber in diesem Stadium der emotionalen Erschöpfung war ich zu keiner Unterhaltung mehr fähig. Meine Augenlider wurden zu bleischweren Jalousien. Ich döste unruhig im Sessel ein.
    Ich kippte nach vorne und sah auf die Uhr. Beinahe zwanzig Minuten waren verstrichen, und das Wasser lief immer noch. Das musste

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