Ewig Böse
nichts heißen. Frauen duschten ja gerne lange. Bei Stacey war es jedenfalls so gewesen. Seit wann war Annette jetzt schon im Bad? Zwanzig Minuten? Eine halbe Stunde?
Ich rannte die Stufen hinauf. Während ich auf das Badezimmer zuging, zögerte ich und hoffte, sie würde fertig sein, bevor ich gezwungen war, etwas zu unternehmen.
Ich räusperte mich laut. »Hast du ein sauberes Handtuch gefunden?«
Manche Leute hören einfach nichts unter der Dusche, redete ich mir ein. Dampf sickerte in die Diele heraus, gesättigt mit dem Aroma von Citrus-Shampoo.
»Annette?«
Die Tür war nicht richtig zu, und ich sah einen fünf Zentimeter breiten Spalt mit dem Schieferboden und der Toilette, einem schnittigen Teil wie aus einem James-Bond-Film. Die Hastings’sche Wellness-Oase stammte aus japanischer Fertigung und war mit einem Bidet, einem beheizten Trockenständer, einem Hinternschmeichler und einer Art Wunderlüfter ausgestattet. Es fehlte eigentlich nur ein kleines Helferlein, das den Talkumpuder zerstäubte und einem ein Pfefferminzbonbon reichte. Stacey hatte die Ausstattung im Haus eines Freundes getestet und sich in sie verliebt. Ich war entsetzt gewesen, aber wenn getoastete Hinterbacken und ein blitzsauberes Arschloch die Gattin zu einem Zeitpunkt glücklich machen, wo das sehr schwierig ist, dann spuckt man eben die vier Riesen aus und schätzt sich glücklich, bis der nächste Einkauf fällig ist.
Ich klopfte. Keine Antwort. Ich klopfte wieder.
»He, Annette? Hallo?«
Das einzige Geräusch war das Prasseln von Wasser auf Porzellan. Ich klopfte fester, schob die Tür ein bisschen weiter auf. Der Duschvorhang war halb heruntergerissen, und drei Messingringe baumelten lose von dem Haltereifen über der Löwenfußwanne.
»Ach du Scheiße.«
Von den feinen Strähnen ihrer nassen Haare, die über den Badewannenrand hingen, tropfte es rosafarben auf den Fußboden.
So ist es hübscher.
10
Ich stieß die Tür auf. Annette lag mit angezogenen Knien auf dem Rücken. Ihr Kopf hing zur Seite, als hätte sie sich die Pulsadern aufgeschnitten, oder es wäre jemand hereingekommen, der ihr mit einem Backstein eins übergezogen hatte. Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen geöffnet. Der Duschkopf besprühte ihren Oberkörper mit mittlerweile kalt gewordenem Wasser. Aus einer angeschwollenen, offenen Wunde über ihrem linken Ohr tröpfelte Blut über Hals und Schulter, bis es zu einem rosafarbenen Band wurde, das wirbelnd im Ausguss verschwand. Ich beugte mich in den Duschstrahl und fühlte an ihrem Hals nach dem Puls.
»Annette! Wach auf, wach auf!«
Ich glaubte, einen Lufthauch aus ihrem Mund zu spüren, aber unter der Dusche war es schwer zu sagen. Ich drehte das Wasser ab. Nachdem ich den Vorhang zur Seite gerissen hatte, packte ich sie unter den Achseln und versuchte, sie aufzurichten. Eines ihrer Beine kippte zur Seite und zuckte.
»Kannst du mich hören?« Diesmal wenigstens hatte ich noch die Chance, einen Rettungsversuch zu unternehmen, und ich hätte beinahe den Namen meiner Frau geschrien: »Annette, wach auf!«
Ihre Augenlider flatterten. Ihr Kopf drehte sich müde zu mir. Sie streckte die Hände aus, versuchte, nach mir zu greifen, vielleicht auch etwas abzuwehren.
»Ohhhh, aas, ase«, murmelte sie und musste husten. Bei dem Hustenanfall krümmte sie sich vor Schmerz.
Ich schnappte mir ein Handtuch aus dem Korb und deckte sie damit zu. Es gelang mir, sie in der Badewanne aufzusetzen. »Kannst du mich hören?«
Sie blinzelte Wassertropfen von den Wimpern weg. »… lass die Hasen nicht.«
»Was?«
Als sie versuchte sich aufzurichten, glitt ihre linke Hand am Rand der Badewanne ab, und sie fiel wieder auf den Hintern.
»Ist schon gut, immer langsam«, sagte ich. »Warte.«
Mit vereinten Kräften schafften wir es, dass sie die Beine unter sich ziehen konnte. Die Beule über ihrem Ohr blutete immer noch und machte mein Hemd schmutzig, aber es war nicht mehr so schlimm. Ich half ihr auf die Beine, hielt sie fest, bugsierte sie breitbeinig zur Toilette und setzte sie darauf. Ich reichte ihr ein zweites Handtuch, das sie aber in den Schoß fallen ließ. Zum ersten Mal öffnete sie die Augen vollständig, sah jedoch durch mich hindurch, während ich das Blut mit einem Tuch stillte.
»Kannst du mich hören?«
Ihr Blick wanderte durchs Badezimmer, bis er an den beiden kleinen, schwarz gerahmten Bildern neben dem einzigen Fenster aus mattierten Glasbausteinen hängen blieb. Jedes zeigte einen
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