Ewig Böse
hatte Angst, sie zu berühren und ihr weh zu tun. Es noch schlimmer zu machen. Aber ich konnte sie nicht da liegen lassen. Ich schob ihr die Hände unter den Rücken und die Beine und hob sie in meine Arme. Ich trug die Frau, die ich seit der vierten Klasse gekannt hatte, durch die Garage und den Garten. Ich drückte sie an mich, bis wir im Haus waren und ich es ihr auf der Couch bequem machen konnte. Das Haus war leer, zehntausend Meilen von der Zivilisation entfernt. Ich schob ihr ein Kissen stützend unter den Kopf, zog die Decke hoch bis zum Kinn und küsste sie. Wir waren sechzehn gewesen, als wir uns zum ersten Mal küssten und die Entscheidungen noch nicht getroffen waren, die uns hierher geführt hatten. Ich legte mein Gesicht auf ihren Bauch, und es durchfuhr mich wie eiskalte Klingen.
Es lag ein Geräusch in der Luft wie von einem Teekessel, der gleich kochen wird. Eine Weile dachte ich, es wären Sirenen, doch das war es nicht. Nur dieser schreckliche, pfeifende Laut, ein Kreischen, das durch die Wände drang, näher und näher, und sich in meine Ohren bohrte. Mir wurde schlecht davon, und ich rannte weg, weg von ihr in die Küche, beugte mich über die Spüle und kotzte mir die Seele aus dem Leib.
Die Zeit machte keine Sprünge mehr. Sie fetzte dahin wie die schmutzigen Seiten einer Zeitung durch einen Hochgeschwindigkeits-Windkanal.
Ich verlor vollkommen die Orientierung. Meine Wahrnehmung war komplett ausgeschaltet.
Als Nächstes erinnere ich mich daran, wie ich oben im Badezimmer stand. Ich starrte die Hasenbilder an den Wänden an, Staceys Hasen, diese melancholischen Bilder, die sie so liebte, Gott weiß, warum, und dann schreckte ich zurück und rannte in die Diele, wieder die Treppe hinunter. Vielleicht schrie ich um Hilfe. Ich musste jemanden anrufen. Das kleine rote Motorola, das sie mir zum Geburtstag geschenkt hatte, lag auf dem Esszimmertisch, keine fünf Meter vom Sonnenzimmer entfernt, wo ich den ganzen Nachmittag gearbeitet hatte. Ich benutzte das Telefon nur selten. Ich hing immer an der »Leine«, wie sie das Blackberry-Telefon nannte, über das Ghost GmbH mit mir zu kommunizieren pflegte. Ich klappte mein rotes Handy auf, fing an, die 9-1-1 zu wählen, und dann sah ich den kleinen Mailbox-Umschlag auf dem Bildschirm auftauchen.
Sie haben eine neue Nachricht.
Ich stand da und wünschte mir, die Zeit zurückzudrehen. Ich hatte Angst, mich umzudrehen und sie auf der Couch liegen zu sehen. Ich hielt die Luft an, während ich die Nachricht abhörte, die sie mir um 9 Uhr 12 geschickt hatte, vor beinahe zehn Stunden.
Ich weiß nicht, warum sie nicht auf dem Festnetz angerufen hatte. Vielleicht war sie in Panik. Vielleicht hatte eine düstere Seite in ihr nicht wirklich gewollt, dass ich abhob. Doch sie hinterließ mir die Nachricht, vermutlich während sie im Wagen saß. So muss es gewesen sein, denn sie kam nie aus dieser Gasse hinaus, und wenn sie noch im Haus gewesen wäre, hätte sie persönlich mit mir gesprochen. Ich hätte sie weinen gehört. Sie weinte so sehr, und ich lag schlafend auf der Couch, weniger als dreißig Meter von ihr entfernt. Hab ich das Klingeln gehört? Vielleicht. Möglicherweise hatte ich es gehört und mich umgedreht, mir ein Kissen über den Kopf gezogen und weitergeschlafen, während sie mich anflehte.
»Wo bist du? James, wo bist du? Du bist nie zu Hause, und ich habe solche Angst. Ich kann nicht, ich kann nicht, ich verstehe nicht mehr, was passiert. Ich …« Ihr Schluchzen wurde ein paar Sekunden lang leiser, dann brach die Nachricht ab.
Anschließend musste sie den Wagen zurückgesetzt haben. Ich weiß nicht, warum sie noch einmal anhielt. Ich weiß nur, wer an diesem Morgen nicht für sie da war, und auch nicht in der Nacht zuvor und in all den anderen Nächten, während sie auf die Vergessenheit zutrieb – der Mann, der gelobt hatte, sie für den Rest ihres Lebens zu beschützen.
Das Entscheidende ist, dass nicht meine Frau mich verlassen hat. Ich habe sie verlassen, nicht umgekehrt.
Ich habe mein kleines Häschen ganz alleine gelassen.
Der Detective, der Staceys Fall bearbeitete, Todd Bergen, lud mich ein paar Wochen später auf ein Glas ein. Er war ein stämmiger Bursche mit dichtem Haar und rosigem Gesicht hinter einer rahmenlosen Brille, ein halber Albino, wie man ihn sich als Manager eines schwedischen Möbelhauses vorstellen könnte. Soweit ich das zu beurteilen vermochte, war er ein guter Polizist, und ein kluger dazu. Er war seit
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