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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ransom
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beschloss, aufs Klo zu gehen, einen Schluck Wasser zu trinken und auf demselben Weg zu verschwinden, wie ich gekommen war.
    Ich schwang mich aus dem Bett. Das Blut floss wie dicke Suppe durch meine Adern, und meine Füße kribbelten. Im Bad beugte ich mich übers Waschbecken, drehte das kalte Wasser auf und lenkte den Strahl mit der hohlen Hand in meinen Mund. Ich trank, bis ich Kopfschmerzen bekam und mein Bauch voll war. Ich richtete mich auf und wischte mir gerade mit dem Unterarm über den Mund, als mein Blick in den Spiegel fiel. Neben dem Bett, ungefähr vier Meter hinter mir, stand mit dem Rücken zum Fenster ein Junge, dessen weißes Gesicht unter einer schwarzen Kapuze verborgen war, und starrte auf die Stelle auf dem Bett, wo ich gelegen hatte.
    Er stand so selbstverständlich und absolut regungslos da, dass mein Verstand seine Anwesenheit nicht begriff und mein Körper völlig gelähmt war. Er sah nicht in meine Richtung, und ich bewegte mich nicht, aus Angst, ihn auf mich aufmerksam zu machen. Ich spürte, wie sich die Härchen an meinem Unterarm aufstellten. Ich atmete in die Ellbogenbeuge hinein und wandte keine Sekunde lang den Blick von ihm. Er war klein, reichte mir nur bis zur Brust, trug enge schwarze Hosen und so ein schwarzes Sweatshirt mit Kapuze und einer Ausbuchtung an der Vorderseite. Seine Hände konnte ich nicht sehen und vermutete deshalb, dass sie in den Bauchtaschen steckten. Er war barfuß, und seine Füße wirkten klein wie zwei Päckchen Spielkarten, so weiß wie Annettes Bauch, so dass sie im dunklen Schlafzimmer beinahe zu leuchten schienen. Er stand da mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf, sein Profil war ebenso weiß wie seine Füße.
    Mein Gott, wie lange? Wie lange steht er schon so da? Eine halbe Stunde? Zwei Stunden? Seit ich eingeschlafen bin? Nein, vor nicht allzu langer Zeit habe ich zum Fenster gesehen. Da war er noch nicht da. Wie ist er hereingekommen? Nicht durch die Tür – da hätte ich ihn gesehen. Andererseits, zwischen Türpfosten und dem Fußende des Bettes lag ein toter Winkel. Er könnte hereingekrochen sein.
    Oder er hat sich einfach materialisiert.
    Aber was, wenn er schon die ganze Zeit da gestanden hat und ich ihn erst im Spiegel sehen konnte? O Gott, o Gott, das kann doch alles nicht wahr sein.
    Er ist nicht, er ist nicht real. Und das macht seinen Anblick so erschreckend.
    Er hatte sich immer noch nicht bewegt. Er atmete nicht einmal. Meine Schultern schmerzten von der unbequemen Haltung. Er würde verschwinden. Er würde einfach verschwinden wie der Junge, den ich in meinem Garten gesehen hatte, der mit dem Blazer mit dem Emblem einer Privatschule. Es war derselbe, das wusste ich, derselbe Junge, nur anders angezogen.
    Im selben Augenblick, als mein Gedächtnis die Verbindung herstellte, hob der Junge im Schlafzimmer die Nase, als hätte er etwas gewittert, dann drehte er den Kopf rasch zu mir um, und die Kapuze wölbte sich nach außen wie der Hals einer Kobra, während sein Spiegelbild zielstrebig auf mich zukam.
    Ich fuhr gerade noch rechtzeitig auf dem Absatz herum, aber alles ging so schnell, und seine Hände schossen aus der Bauchtasche, um die Kapuze zurückzuschlagen und mir sein Gesicht zu zeigen.
    »Nein!«, schrie ich und taumelte gegen den Waschtisch zurück. Es gab keinen Ausweg.
    Seine weißen Handrücken glitten lautlos zu seiner Stirn und zogen die Kapuze herunter, und sein ganzes Gesicht, alles war eine einzige weiße Fläche, und seine Stimme, wenn es denn eine Stimme war, tönte wie die Wiederholung eines zufällig aufgeschnappten Gesprächsfetzens tief in meinem Inneren.
    … getan haben schau was sie getan haben schau was sie getan haben schau …
    Ich schrie auf und hob schützend die Hände, während er durch mich hindurchrannte, und ich fühlte nichts als das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, gefolgt von einem dumpfen Klang, und dann herrschte endlich Stille.
    Ich senkte die Arme und suchte das Schlafzimmer, in dem sich das blaue Licht der Morgendämmerung fing, mit den Augen ab. Doch der Junge war verschwunden, und der Raum wirkte plötzlich nichts sagend und wie frisch gewaschen. Ich war sicher, dass ich jetzt allein war, Spiegel hin oder her. Aber ich sah nicht nach, ob seine Reflexion noch da war. Und ich wartete auch nicht auf seine Rückkehr.

28
    Anderthalb Stunden später stieß ich auf die Eingangstore der Siedlung mit der rostigen Schwanenstatue in ihrem Giftbecken und fand die Orientierung wieder. Die Sonne

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