Ewig Böse
war aufgegangen, und die Lufttemperatur lag schon über zwanzig Grad, trotzdem zitterte ich vor Kälte und fühlte mich zu Tode erschöpft. Mein mutiger Entschluss, SP zu Fuß zu verlassen, hatte sich verflüchtigt. Jetzt wollte ich nur noch eine heiße Dusche und ein vertrautes Bett, selbst wenn es Annette gehörte. Was immer mit ihr nicht stimmte, sie war ein Mensch, nicht jemand, der durch Wände gehen konnte. Sie war krank, und ein Arzt würde mir vielleicht erklären können, wie ihre Sommersprossen verschwunden waren.
Was den Jungen betraf, nun ja, ich hatte offenbar einen Nervenzusammenbruch gehabt, mit wiederkehrenden Halluzinationen als Dreingabe. Ich litt unter posttraumatischem Stresssyndrom, wie Bergen mich gewarnt hatte. Und das Knirschen auf dem Glas, da hatte sicher irgendein Schulschwänzer beschlossen, Halloween dieses Jahr vier Monate vorzuverlegen, und ich hatte mich von dem kleinen Scheißer verarschen lassen, statt ihn am Genick zu packen und zu seinen Eltern zu schleifen.
Tageslicht ist die halbe Miete, was den gesunden Menschenverstand angeht.
Das Garagentor war zu. Ich ging die Treppe zum Eingang hoch und stellte fest, dass die Tür verschlossen war. Der Kreidekreis war noch zu erkennen. Ich klopfte, aber sie antwortete nicht. Ich beschattete die Augen mit den Händen und spähte hinein, doch es war nichts von ihr zu sehen. Ich ging um die Garage herum zum Gartentor, das ebenfalls versperrt war. Inzwischen war ich zu müde, um mir Sorgen zu machen. Ich war wütend, und das fühlte sich gut an.
Ich ging zurück zur Vordertür und hämmerte dagegen. »Annette! Ich bin ausgesperrt!«
Gerade wollte ich wieder mal ein Fenster eintreten, als ich ein leises Knirschen auf dem Asphalt hörte und das kaum wahrnehmbare Quietschen von Bremsen. Ich drehte den Kopf und erwartete, den grünen Mustang zu sehen.
»Morgen, mein Gutester«, sagte ein Mann mit der Schmierentheaterimitation einer Polizistenstimme. »Wenn du abzuhauen versuchst, trete ich dir so tief in den Arsch, dass du Zähne scheißt.«
Der kann doch nicht mich meinen, dachte ich, zu überrascht, um Angst zu haben, das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.
Ich wandte mich zu ihm um. Er war schon halb über den Rasen, und jetzt bekam ich es doch mit der Angst zu tun. Er war groß, etwa eins neunzig, und wog sicher hundertzwanzig Kilo, hatte Schultern wie Sandsäcke und die Oberschenkel eines Footballspielers, dazu trug er schwarze Schnürstiefel in Yetigröße. In seinen engen Polyesterklamotten sah er aus wie eine Knackwurst: blauschwarze Hosen mit dazu passendem Hemd, das sein rotes, welliges Haar und einen Schnurrbart in Form und Größe eines Karpfenschwanzes hervorhob. Er hatte einen massiven Bierbauch, und seine groben Riesenhände schienen weiß zu pulsieren wie Micky Maus’ Handschuhe im Zeichentrickfilm, nachdem ein Vorschlaghammer drauf gelandet ist. Sie hielten einen stumpfnasigen 38er Revolver, der fast darin verschwand. Das schwarze Mündungsloch jedoch schien exponentiell zu wachsen, je näher er kam – Cent, Pokerchip, Ofenrohr –, bis es zu einem schwarzen Kanalrohr wurde, das vor meinem Gesicht herumhing.
»He, jetzt aber mal langsam!« Ich hob die Hände. »Ich bin ein Freund von Annette.«
»Einen Scheiß bist du.« Er trug keinen Stern oder sonst ein Abzeichen. Unmittelbar, bevor mir seine Schultern die Sicht nahmen, sah ich, dass er nicht in einem Streifenwagen gekommen war, sondern in einem Interceptor, dessen Farbe von Tiefrot in Richtung Rostbraun tendierte, mit Suchscheinwerfern über den Außenspiegeln, Rammschutzgitter und einfachen schwarzen Felgen. Undercover auf nicht gerade unauffällige Art. »Hände an die Wand und Beine auseinander, Bubi.«
Mein Körper wollte immer noch nicht wahrhaben, dass das wirklich passierte. »Warum? Was soll ich getan haben?«
Er weiß von dem eingeschlagenen Fenster. Er weiß, dass du im Haus von Fremden übernachtet hast. Du wanderst in den Knast.
Seine Augen waren gerötet, riesig und quollen aus seiner feisten Visage hervor, als wären sie dreimal so schwer wie die eines durchschnittlichen Menschen. Es war ein abstoßender Anblick, also wandte ich mich der Hauswand zu.
»Kleiner Einbruch, was? Schnell mal an der Unterwäsche schnüffeln, während Mutti weg ist? Ist das dein Kick?«
»Ich war nur spazieren und habe meine Schlüssel vergessen«, sagte ich. »Ich wohne hier. Machen Sie mal halblang.«
»Maul halten.« Er steckte die Pistole ins Halfter. An seinem
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