Ewig sollst du schlafen
»Du hast telefoniert. Ich wollte dich nicht stören.« Im ersten Moment sah er gekränkt aus, doch kurz darauf erkannte sie Trotz in seinen Augen. Dann trat wieder dieser leere Ausdruck in seinen Blick. Nikki hatte immer angenommen, er stünde unter dem Einfluss irgendeiner Droge, die ihn stets ein bisschen abwesend erscheinen ließ, aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher.
»Schon gut. Gehen wir nach oben. Unterwegs kannst du mir berichten, was mit meinem Computer los ist.« Sie pfefferte das nasse Papiertuch in einen Mülleimer und ging zur Treppe. Keine Sekunde länger als nötig wollte sie mit dem merkwürdigen Typen hier unten allein sein. »Er läuft wieder.« Das war alles, was sie wissen wollte, doch Kevin legte natürlich erst so richtig los und quälte sie auf dem Weg hinauf in die Redaktion mit technischen Ausführungen. Er ließ sich nicht abschütteln; er folgte ihr bis zu ihrem Schreibtisch und erklärte ihr zwanzig Minuten lang in allen Einzelheiten, was er unternommen hatte, um das verflixte Ding zu reparieren. Es interessierte sie nicht die Spur, doch sie nahm sich vor, sich mehr Kenntnisse über diese Geräte anzueignen, damit sie nicht mehr von Kevin abhängig war. Vielleicht würde sie einen Kurs besuchen oder sich mithilfe eines Handbuchs, etwa in der Art von
Die idiotensichere Einführung in technische Fragen
, ein Grundwissen zulegen.
»Danke, Kevin«, sagte sie, als er sich endlich anschickte zu gehen. Er schenkte ihr ein Lächeln, das eher jungenhaft als diabolisch war, und sie schalt sich einen Dummkopf, weil im Hinblick auf Tom Finks Neffen immer wieder ihre Fantasie mit ihr durchging. Trina spähte über die Trennwand ihrer Kabine. »Lass mich nie wieder mit dem Kerl allein.«
»Du warst nicht allein.« Nikkis Blick schweifte über die Kabinen, in denen zahlreiche Reporter vor ihren Computern hockten.
»Er spinnt, Nikki. Als du weg warst, hat er die ganze Zeit vor sich hin gesummt und gesungen, so komische Texte, die keinen Sinn ergeben. Wie Kinderreime. Ich dachte ständig, er würde mit mir reden.« Sie schauderte. »Wenn du mich fragst: Der hat nicht alle Tassen im Schrank.«
»Ich weiß, aber er hat meinen Computer repariert, und alles andere ist mir egal.«
»Na gut, aber das nächste Mal läufst du nicht einfach weg, ohne mich vorzuwarnen.« Nikki lächelte. »Hey, Norm sitzt an seinem Schreibtisch. Wenn Kevin dich anmacht oder sich komisch aufführt, kannst du dich jederzeit an Metzger wenden.«
»O Gott, das ist wirklich ein Tollhaus.« Plötzlich weiteten sich Trinas Augen.
»Oha, sieht aus, als bekämst du Besuch.«
»Was?« Nikki drehte sich auf ihrem Stuhl um und entdeckte Sean Hawke in voller Lebensgröße am Empfangstresen, wo er sich Celeste zuneigte. Die verwirrte Rezeptionistin deutete auf Nikkis Schreibtisch. Sean fing Nikkis Blick auf und kam auf sie zu. Die inzwischen vergangenen Jahre hatten ihm nichts anhaben können. Er sah immer noch blendend aus, der Körper war durchtrainiert, die Haare fielen über den Kragen seiner Lederjacke, ein kleines Bärtchen zierte sein Kinn. Obwohl Dezember war und er sich in einem geschlossenen Raum aufhielt, trug er eine getönte Brille, eher um der Wirkung als der besseren Sicht willen, wie sie vermutete. Seine Garderobe bestand aus einer khakifarbenen Hose, einem engen Pullover und schwarzen Stiefeln. Und er hatte ein hinreißendes Lächeln aufgesetzt. »Mannomann«, sagte Trina, und Nikki sah aus den Augenwinkeln, wie ihre Freundin so tat, als müsste sie sich Luft zufächeln. »Der Typ ist echt heiß.«
»Der Typ bedeutet Arger«, flüsterte Nikki und stand auf, als sich Sean näherte. »Dachte ich’s mir, dass ich dich hier finden würde.«
»Bist du unter die Detektive gegangen?«
»Du bist vorlaut wie eh und je.« Er stellte sich breitbeinig hin, nahm den Briefbeschwerer von ihrem Tisch und begann, ihn hochzuwerfen und wieder aufzufangen. So war er schon immer gewesen, ein Nervenbündel in einem maskulinen, sexy Körper.
Nikki machte Sean mit Trina bekannt, die bei seinem Anblick beinahe dahinschmolz. Genauso wie Nikki vor ein paar Jahren.
»Du hast nicht auf meine Anrufe reagiert.«
»Tut mir Leid – nein, das stimmt nicht. Ich hatte zu tun, Sean.«
»Und keine Zeit für einen alten Freund.«
»Für einen alten Freund, der mich Vorjahren in die Wüste geschickt hat.«
»Autsch.« Er verzog das Gesicht. »Das war ein Fehler.«
»Vielleicht auch nicht. Alles hat sich zum Besten
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