Ewig sollst du schlafen
ein Computer stand, der entschieden besser funktionierte als ihrer. Sie war allein hier unten, und es war still wie in einem Grab. Eine Neonlampe leuchtete an der Decke, die Betonwände waren in einem stumpfen Grau gestrichen und erinnerten an ein Gefängnis. Hier unten erklang keine Musik. Hier klapperten keine Tastaturen, klingelten keine Telefone, war kein Stimmengesumm zu hören. Es gab nur Aktenschränke und halb leere Bücherregale. Dieser Ort hatte ihr schon immer eine Gänsehaut verursacht, und jetzt, da draußen ein Serienmörder frei herumlief, fühlte sie sich noch beklommener. Es war aber auch so verdammt still hier unten. Und so einsam. Sie ließ sich auf einem knarrenden Stuhl nieder, arbeitete sich durchs Archiv und befragte dann noch einmal das Internet über Reed. Er war der Schlüssel. Sie wusste es. Er war der Polizist, der nach Dahlonega beordert worden war. Der Mann, der ein Verhältnis mit Bobbi Jean gehabt hatte. War das der Grund dafür, dass er per Hubschrauber zum Blood Mountain befördert worden war? Aber wodurch hatten seine Kollegen von seiner Affäre mit Bobbi Jean erfahren? Sie machte sich Notizen auf einem hauseigenen Block. Sie musste unbedingt Cliff dazu befragen. Sie rief ihn auf seinem Handy an, doch wie immer meldete er sich nicht. Sie hinterließ ihm eine Nachricht. »Er geht dir aus dem Weg«, sagte sie laut und hörte verdutzt, wie ihre Stimme in diesem höhlenartigen Raum widerhallte. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Am liebsten hätte sie über ihre Nervosität gelacht. »Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich. »Hier ist es nicht einmal dunkel.«
Nur so still. Vollkommen geräuschlos. Kühl. Und trotzdem ist die Luft dünn.
Ihr Handy gab Laut, und sie zuckte heftig zusammen. Das Display zeigte eine Nummer der Polizeibehörde von Savannah. Was sie wunderte. Cliff rief sie niemals von seinem Büro aus an. Er hatte viel zu große Angst, dabei ertappt zu werden.
Mit Angst hat das nichts zu tun. Er ist eben vorsichtig. Schließlich könnte er seinen Job verlieren, und das alles nur wegen einer falsch verstandenen Loyalität Andrew gegenüber – und vor allem weil er dich mag. Das hast du schon immer gewusst, also sieh den Tatsachen endlich ins Gesicht.
Schuldbewusst meldete sie sich: »Nikki Gillette.«
»Pierce Reed.«
Sie erstarrte. Reed rief sie an. Hastig legte sie Papier und Kuli bereit. »Hallo, Detective Reed«, sagte sie ruhig, obwohl ihr Herz hämmerte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe mich lange davor gedrückt, Sie zurückzurufen. Sie haben mir mehrere Nachrichten hinterlassen.«
»Ja. Ich würde Sie gern interviewen. Wegen des Falls.«
»Das sagten Sie bereits.«
»Sie haben meine Nachrichten in Ihrer Mailbox tatsächlich abgehört?«
»Acht Stück insgesamt.«
»Ich wollte mit Ihnen reden, bevor ich meinen Artikel abgab. Aber ich konnte nicht endlos warten. Ich habe meine Termine.«
»Deshalb rufe ich Sie jetzt an. Ich habe es mir überlegt. Ich denke, wir sollten miteinander sprechen.«
Sie traute ihren Ohren nicht. »Wann?«
»Heute Abend, nach der Arbeit. Sagen wir, um sieben, halb acht. Schaffen Sie das?«
»Klar.« Sie gab sich Mühe, ihre Begeisterung zu verbergen, obwohl sein Vorschlag ihr wie ein Geschenk des Himmels erschien. Ein Interview mit dem zugeknöpften Detective Reed. Nein, sogar ein Exklusivinterview. »Was ist passiert?«, entschlüpfte es ihr. »Warum haben Sie es sich anders überlegt?«
»Das erkläre ich Ihnen, wenn wir uns treffen.«
»Wann und wo?«
Er zögerte nicht eine Sekunde lang. »In Johnny B’s Low Country Grill an der Interstate 80. Knapp eine Meile vor der Brücke nach Tybee Island. Kennen Sie das Lokal?« Für alle Fälle gab er ihr die exakte Adresse.
»Ich werde es schon finden«, sagte sie und notierte den Namen des Restaurants auf ihrem Schmierblock. »Sagen wir, halb acht.« Sie beendete das Gespräch mit einem Hochgefühl und verstaute gerade das Handy in ihrer Handtasche, da spürte sie auf einmal, dass sich im Raum etwas verändert hatte. Ein kühler Lufthauch streifte ihre Wange. Sie warf einen Blick über die Schulter und erblickte Kevin, wieder nur Zentimeter von ihr entfernt. »O Mann!« Sie fuhr zusammen und warf vor Schreck ihre halb geleerte Coladose um. »Warum schleichst du dich bloß immer so an?« Sie musterte seine Schuhe mit den Kreppsohlen und stellte rasch ihre Coladose wieder auf. Sie kramte in ihrer Handtasche nach einem Papiertaschentuch und tupfte damit die Pfütze auf.
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