Ewig sollst du schlafen
gewendet.«
»Tatsächlich?« Er sah sie mit seinen hinreißenden Augen eindringlich an. Vorjahren hatte ihr Herz unter seinem abschätzenden Blick heftig gepocht. Mittlerweile hatte dieser Blick jeglichen Zauber verloren. Früher einmal hatte sie ihn erotisch gefunden, jetzt fand sie ihn lästig. »Was willst du von mir?«
»Ein Date. Eine Gelegenheit, meine Wissenslücken in Bezug auf dein Leben zu füllen.«
»Es gibt keine Wissenslücken. Ich arbeite hier. Wie damals, als du weggegangen bist.«
»Aber inzwischen hast du deinen Collegeabschluss.. Und machst dir anscheinend gerade einen Namen.« Sie antwortete nicht.
»Ich dachte, du hättest inzwischen vielleicht geheiratet.«
»Falsch gedacht.«
»Du fragst gar nicht, was ich so treibe.« Er warf den Briefbeschwerer erneut in die Luft. Fing ihn geschickt wieder auf. »Ich sehe keinen Grund dazu.«
»Bist du mit irgendwem zusammen?«
»Im Moment nicht.«
»Aber du warst es.«
»Hör mal, Sean, das geht dich überhaupt nichts an. Außerdem muss ich jetzt arbeiten.«
»Dann treffen wir uns auf einen Drink, wenn du Feierabend hast.«
»Hast du nichts Besseres zu tun?«
Er grinste von einem Ohr bis zum anderen. »Heute nicht.«
»Trotzdem halte ich es für keine gute Idee.«
»Ein Drink bringt dich schon nicht um.« Er lächelte mit beinahe jungenhaftem Charme, und seine Augen sprühten Funken, genauso wie damals. Ihr Handy klingelte, und sie sagte: »Ich muss jetzt wirklich weiterarbeiten.«
Als sie nach dem Handy griff, packte er ihr Handgelenk. »Ich ruf dich an, Nikki.« Dann ließ er sie los und verließ ihre Kabine.
Jenseits der Trennwand hörte sie Trina flüstern: »Wow!«
»Willst du ihn haben? Ich schenk ihn dir«, sagte Nikki und blickte Sean nach, der mit wiegenden Schritten davonstolzierte. Die verblichene Jeans umspannte fest sein Hinterteil, die Stiefelabsätze waren kein bisschen abgelatscht, seine Jacke wies keine einzige Falte auf. Er sah beinahe zu perfekt aus. Wie damals, als er ihr das Herz gebrochen hatte. Wieder klingelte das Handy, und sie meldete sich. Es war eine der Frauen von der Historischen Gesellschaft, die sich vergewissern wollte, dass Nikki über eine geführte Tour durch einige Häuser Bescheid wusste, die über Weihnachten zu besichtigen waren. Nikki bestätigte es und legte schnell wieder auf.
Endlich hatte sie Zeit, ihren Computer wieder hochzufahren. Ihre E-Mails hatte sie vorhin schon zur Hälfte gesichtet, und jetzt las sie die restlichen Nachrichten. Sie war schon fast fertig, da entdeckte sie eine Mail mit der Betreffzeile GRABRÄUBER SCHLÄGT ERNEUT ZU
Obwohl sie die Absenderadresse nicht erkannte, öffnete sie die Mail. Ihr Herz drohte stehen zu bleiben. Sie nahm nichts um sich herum mehr wahr, wie hypnotisiert starrte sie auf die grauenhaften Bilder auf dem Monitor, die Fotos von vier Menschen – aller Wahrscheinlichkeit nach die Opfer des Grabräubers –, die vor ihren Augen zu Skeletten wurden und dann zu Staub zerfielen. Die Nachricht war schlicht:
WERDEN ES NOCH MEHR?
VOR NUMMER ZWÖLF KANN KEIN MENSCH SICHER SEIN.
Plötzlich war ihr so kalt, als wäre sie ins Polarmeer gestürzt. Was um alles in der Welt hatte diese Botschaft zu bedeuten? Sprach der Grabräuber sie an? Oder war es bloß ein dummer Scherz? Ihre Gedanken überschlugen sich. Hatte Cliff nicht erst gestern Abend erwähnt, dass der Grabräuber Briefe an Reed schickte? Womöglich auch E-Mails … Wer war der Absender? Sie tippte eine Antwort. Vielleicht war es ja wirklich ein Scherz. Heutzutage machten sich viele Leute einen Spaß daraus, Spams zu verschicken. Doch Nikki beschlich ein merkwürdiges Gefühl, eine Ahnung, dass sich der Mörder tatsächlich direkt an sie wandte. Wahrscheinlich wegen ihrer Artikel. Weil sie ihm einen Namen gegeben hatte. Ihm Beachtung schenkte. Sein gestörtes Ego aufwertete. Während sie die E-Mail abschickte, in der sie den Absender aufforderte zu antworten und sich zu erkennen zu geben, kaute sie nervös auf ihrer Unterlippe herum. Die Mail kam nahezu sofort zurück. Nikki druckte die Mail an sie zweimal aus, wobei sie beim zweiten Ausdruck den Text herausschnitt. Dann durchkämmte sie das gesamte Bürogebäude, bis sie Kevin, wie immer den Kopfhörer über den Ohren, vor den Automaten im Pausenraum fand. Er tippte gerade seine Bestellung ein und sah sie aus den Augenwinkeln heranstürmen.
»Sag jetzt nicht, du kriegst deinen Computer nicht in Gang«, sagte er und bedachte sie mit einem nahezu
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