Ewig sollst du schlafen
Sie sagte sich, dass sie ein schlechtes Gewissen haben müsste, doch es stellte sich nicht ein. Nicht gegenüber ihrer Schwester. Wenn etwas nicht nach Lilys Kopf ging, schlug sie wild um sich, das war nichts Neues. Innerlich immer noch kochend vor Wut manövrierte sie den Wagen durch die Altstadt. Ein bisschen zu schnell bog je um eine Kurve, um nicht an einer bereits gelben Ampel halten zu müssen, und mahnte sich zur Ruhe. Ein Streit mit Lily war nun wirklich nichts Außergewöhnliches. Sie hatte ich nie gut mit ihrer Schwester verstanden. Ein Blick in den Seitenspiegel sagte ihr, dass Reed immer noch hinter ihr war. Er ließ den Abstand zu ihr nie zu groß werden, beschleunigte auch nicht, um sie zu überholen. Sie empfand eine Nähe als seltsam tröstlich. Er hatte sich während ihres Treffens bedeutend zugänglicher gezeigt als sonst, und sie meinte, einen anderen Tonfall in seiner Stimme bemerkt zu haben, weich, als ob er sich um sie sorgte – und sei es nur, weil er den beruflichen Eid geleistet hatte, Personen wie sie beschützen.
Bei diesen Gedanken wäre sie beinahe bei Rot über eine Ampel gefahren. »Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich. Der Typ, den du gerade anschmachtest, heißt Pierce Reed.« Empört über die Richtung, die ihre Überlegungen eingeschlagen hatten, stieß sie in ihre Parklücke auf dem ’einen Parkplatz. In der Gasse, wo die Müllcontainer für das Wohnhaus untergebracht waren, stand bereits ein Streifenwagen. Das Blaulicht streifte die alten Ziegelmauern, hohen Fenster und glänzenden Läden des einstmals herrschaftlichen Gebäudes. Flatterband war gezogen worden, um schaulustige fern zu halten. In mehreren Nachbarwohnungen brannte Licht, und Nikki erkannte die Silhouetten der Bewohner an den Fenstern. Ein paar Mutigere, im hastig übergeworfenen Regenmantel über dem Schlafanzug, standen vorm Haus und verdrehten sich die Hälse, um einen Blick hinauf zu ihrer Wohnung werfen zu können, und ein paar Gaffer bestürmten einen stoischen Beamten mit ihren Fragen.
»Was ist da los?«, fragte eine Frau. Sie drängte sich mit einem korpulenten Mann in zerknittertem Trainingsanzug unter einen Schirm.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete der Beamte. »Wenn Sie bitte zurücktreten und uns unsere Arbeit machen lassen würden, wären wir Ihnen sehr dankbar.« Bei dem massigen Typen kam der Wink mit dem Zaunpfahl nicht an. »Wie auch immer, es geht um die Wohnung ganz oben, um die Turmwohnung.« Als die neugierigen Nachbarn die Nase in die Luft reckten, um hinauf zu Nikkis Wohnung zu starren, kippte der Schirm zur Seite. Nikki trat dahinter ein paar Schritte zurück, sodass die beiden sie nicht sehen konnten, und war froh, als sie aus den Augenwinkeln Reed erblickte.
»Wohnt da nicht Nikki Gillette?«, fragte die Frau unter dem Schirm. Nikki wich noch weiter zurück. »Das ist diese Reporterin, nicht wahr? Die diese Geschichten über den Grabräuber schreibt…«
Bevor die Leute unter dem Schirm sich womöglich umdrehten und sie erkannten, schlich sich Nikki davon. Sie stieß um ein Haar mit Reed zusammen, der sie sofort am Ellbogen packte und wegführte. Ausnahmsweise einmal war sie froh, sich auf jemand anderen verlassen zu können, seine kräftigen Finger an ihrem Arm zu spüren. Für den Moment fühlte sie sich beschützt, wenngleich sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie von den Leuten entdeckt und erkannt wurde. Immer mehr Nachbarn scharten sich zusammen. Glücklicherweise hielten die meisten der Schaulustigen Abstand zu den Polizisten. Nur wenige Fahrzeuge fuhren langsam vorüber. Während näher kommende Sirenen durch die Nacht heulten, machten die Fahrer lange Hälse, und die Beifahrer zeigten auf das elegante alte Haus.
»Das sieht nach einem gewaltigen Rummel aus«, sagte Nikki leise.
»Gelinde gesagt«, pflichtete Reed ihr bei. »Danke. Da geht es mir gleich besser.« Einer der Uniformierten übernahm die Verkehrsregelung, winkte die Schaulustigen weiter. Ein feuchter, eisiger Wind strich über Nikkis Wangen und zerrte am Saum ihres Mantels. »Wir brauchen einen Schlüssel«, bemerkte Reed. Sie wollte sich weigern, ihn herauszurücken, denn sie hasste es, wenn man in ihre Privatsphäre eindrang, doch dann kramte sie doch in ihrer Handtasche, fand den Schlüsselbund und löste den betreffenden Schlüssel. »Wir gehen rein, sobald wir die Genehmigung bekommen.«
»Von wem?«
»Von Diane Moses. Und glauben Sie mir, sie trägt diesen Namen zu
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