Ewig sollst du schlafen
eines entgegenkommenden Fahrzeugs blinzelte. »Es steckt noch mehr dahinter, und das gibt Ihnen zu denken, nicht wahr?«
»Mir gibt so einiges zu denken.«
»Los, Reed, raus damit. Und kommen Sie mir nicht wieder mit dem Spruch, dass ich nicht darüber schreiben darf, okay? Das ist mir inzwischen klar. Ich weiß, dass alles, was wir besprechen, für meine Artikel tabu ist.« Als wollte er ihren Worten Nachdruck verleihen, knurrte und kläffte Mikado, und sein Atem Heß die Scheiben noch stärker beschlagen. Als Reed nicht antwortete, forderte sie ihn auf: »Reden Sie endlich. Was ist los? Irgendwas beunruhigt Sie doch.«
»Ach, zum Teufel.« Reed umfasste das Lenkrad so heftig, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Irgendetwas passt hier nicht zusammen. Ich wünsche mir von Herzen, dass Chevalier der Mörder ist. Und ich bin sicher, dass Chevalier mit den Morden zu tun hat. In jedem einzelnen Fall gibt es eine Verbindung zu ihm, und zwar waren alle Opfer Geschworene in dem Prozess gegen ihn. Sie haben ihn verurteilt. Aber in meiner Erinnerung ist Chevalier ein brutales Dreckschwein. Er war gemein. Ein finsterer Bursche. Ein Mann, der die Kinder seiner eigenen Freundin terrorisierte. Sie quälte. Ich kann ihn mir nicht als einen Mann vorstellen, der kleine Verse schreibt, kindliche Verse im Grunde, und uns zu einem Spiel herausfordert, wenn man das so nennen will. Er hat nicht die Spur von Grips. Und wenn er nicht in den letzten zwölf Jahren an seinen Computerkenntnissen gefeilt hat, besitzt er meines Erachtens nicht das Know-how, die Coups auf diese Art durchzuziehen. Außerdem hat er weder die finanziellen Möglichkeiten noch den Antrieb, uns so zu foppen. Er ist frei. Ist raus aus dem Knast, also warum sollte er seine neue Freiheit riskieren? Nein, hier fehlt ein Puzzleteil. Ich komme nur nicht darauf, was es sein könnte.«
»Ich verstehe das nicht«, entgegnete Nikki und zauste Mikados Fell. Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen. Falls Reed Recht hatte … dann war alles noch schlimmer. Sie wollte glauben, dass LeRoy Chevalier hinter den Morden steckte. Sie brauchte ein Gesicht und einen Namen für den Mistkerl, der die Straßen von Savannah unsicher machte. »Wie ich schon sagte, Chevalier ist gewalttätig und rücksichtslos. Widerlich und grobschlächtig. Was mich an seinem Fall besonders gewundert hat, war die Tatsache, dass sich Carol Legittel, eine gebildete Frau, überhaupt mit ihm eingelassen hatte.«
»So etwas kommt immer wieder vor. Denken Sie an die Anwältinnen, die sich mit ihren Klienten einlassen. Mit Vergewaltigern. Mördern, ganz gleich. Sie geraten in deren Sog.«
»Trotzdem ist es dumm.«
»Da kann ich nicht widersprechen. Aber wenn ich mich recht erinnere, hatte Carol Legittel ihren Job verloren, bekam keine Alimente mehr von ihrem Ex und hatte drei halbwüchsige Kinder zu versorgen. Als sie Chevalier kennen lernte, war sie verschuldet und so gut wie pleite. Er hatte einen guten Job als Fernfahrer, mit vielen Vorteilen. Meiner Meinung nach war sie schlicht verzweifelt.«
»Aber sie hätte sich jemanden aussuchen können, der intellektuell ein bisschen mehr zu bieten hatte.«
»Vielleicht hat sie gerade das angezogen – dieses Ungeschlachte. Wer weiß?«
»Ja. Wer weiß?«, knurrte Reed. »Kein Mensch wird es wohl je erfahren. Gute Nacht, Reed.« Sie öffnete die Wagentür, und die Innenbeleuchtung flammte auf.
»Moment.« Bevor sie aussteigen konnte, griff er nach ihrem Arm. »Mir gefällt es nicht, dass Sie heute Nacht allein sind.« Er sprach leise, sein Flüstern verursachte ihr unbegreiflicherweise ein Kribbeln im Nacken. Kräftige Finger hielten ihren Arm umschlossen. »Wollen Sie mich angraben?«, fragte sie, bemüht, die Spannung zu lockern. »Ich mache mir nur Sorgen.«
»Mir passiert schon nichts.«
»Sind Sie sicher?« Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er es nicht war.
»Also, wollen Sie mit reinkommen?«, fragte sie.
Er zögerte. Blickte zu ihrer Turmwohnung hinauf. »Das wäre wohl keine gute Idee.« Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Dann lassen Sie’s.«
»Können Sie nicht woanders übernachten?«
»Ich habe doch die Schlösser auswechseln lassen.« Sie rang sich ein schmales Lächeln ab. »Und Mikado ist bei mir, mein Wachhund.«
Reed schnaubte verächtlich und warf einen Blick auf den Köter. »Ja, er wird Sie beschützen, keine Frage. Warum schlafen Sie nicht noch einmal bei Ihren Eltern?«
»Ich bin nicht mehr dreizehn,
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