Ewig sollst du schlafen
Wenn wir den Mörder haben, was glauben Sie wohl, was sein Verteidiger ins Feld führt? Er wird angeben, dass der Liebhaber eines Opfers am Tatort zugegen war, und als Krönung darlegen, dass Sie der Vater ihres Kindes sind. Wäre das nicht ein Grund dafür, dass Sie die Beweismittel, die zu Ihrer Verhaftung führen würden, zerstören wollen?« Sie unterbrach das Putzen ihrer Brille und sah ihn streng an. »Sie wissen, dass ich Morrisette spezielle Instruktionen in Bezug auf Sie gegeben habe, also stecken nicht nur Sie allein in der Patsche. Sie gefährdet die Ermittlungen, indem sie Sie über die Vorgänge informiert.«
»Der Grabräuber richtet seine Botschaften an mich.«
»Und wenn schon. Halten Sie sich raus, Reed, und zwar ab sofort, sonst muss ich Ihnen Ihre Dienstmarke abnehmen.«
»Das wird nicht nötig sein.« Er steckte die Hand in die Hosentasche und zückte seine Brieftasche, die seinen Polizeiausweis und die Dienstmarke in einer Lederhülle enthielt. Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk schob er die Hülle über Okanos Schreibtisch, wo sie vor deren Markenzeichen, irgendeinem Eiskaffee-Gebräu, liegen blieb. »Morrisette trifft keine Schuld. Ich habe sie bedrängt.«
»Meine Güte.« Sie setzte sich die Brille auf die spitze Nase. »So leicht kommen Sie nicht davon, Reed.« Sie schob das Etui zurück in seine Richtung. »Halten Sie sich bedeckt. Mal sehen, wie ich die Sache regeln kann.«
»Und ich dachte, auf die hätten sie es abgesehen«, spöttelte er und griff nach seiner Marke. »Treiben Sie’s nicht auf die Spitze.«
Er wandte sich zum Gehen. »Nicht mal im Traum. Ich bin k.o.«, sagte er, und es war glatt gelogen.
Der Tag war die Hölle gewesen. Nachdem sie sich einen Mietwagen besorgt hatte, war Nikki nach Hause gefahren und mit dem vor Begeisterung überschäumenden Mikado Gassi gegangen. Den Hund hüpfen, Eichhörnchen jagen und Fremde anbellen zu sehen hatte Nikki deutlich bewusst gemacht, dass sie Simone niemals wieder sehen würde. Nie wieder ihre Stimme hören würde.
Aber du kannst etwas tun. Du kannst dazu beitragen, dass dieser Dreckskerl hinter Gitter kommt. Er hält schließlich Kontakt zu dir. Und du kannst dich um ihren Hund kümmern. Das hätte sie sich gewünscht.
Obwohl Jennings offensichtlich verstimmt war wegen des kleinen Eindringlings, hatte Nikki beschlossen, dass Mikado von nun an zur Familie gehörte.
Sie überließ es Hund und Katze, sich zu arrangieren, flitzte ins Büro und wurde gleich bei ihrer Ankunft im Redaktionsgebäude an der Garderobe von Tom Fink abgefangen. »Nikki«, sagte er im Flüsterton, als sie ihren Schal über einen freien Haken warf. »Hast du eine Minute Zeit?«
»Klar.«
»Gut. Komm mit in mein Büro.«
Auf dem Weg dorthin spürte sie die Blicke sämtlicher Kollegen auf sich ruhen, ihre Neugier war beinahe greifbar. Trina hob nicht einmal den Kopf. Norm Metzger beäugte sie, als wäre sie seine Todfeindin, und Kevin lugte unter dem Schirm seiner Baseballkappe hervor und musterte sie eindringlich. Selbst die immer so überschwängliche und unfähige Celeste starrte unverhohlen. Nikki hatte den Eindruck, dass sämtliche Geräusche, das Klicken der Tastaturen, das Klingeln der Telefone, das leise Stimmengewirr verstummten, als sie vorüberging. Das Redaktionsbüro wirkte eher wie ein Aufzug, in dem nur die leise Musikberieselung die Stille störte.
»Was gibt’s?«, fragte sie, als Tom ihr einen Besuchersessel anbot und hinter dem Schreibtisch Platz nahm. »Das würde ich gern von dir erfahren.« Er legte dachartig die Fingerspitzen aneinander und stützte das Kinn auf die Daumen. »Es liegt was in der Luft. Etwas von großer Tragweite. Du kriegst Briefe von dem Mörder, in deine Wohnung wurde eingebrochen, und jetzt ist deine beste Freundin dem Mann zum Opfer gefallen, den du den Grabräuber genannt hast. Stimmt das?«
»Ich dachte, die Polizei gibt die Namen der jüngsten Opfer nicht frei, bevor die nächsten Angehörigen verständigt sind.«
»Sie sind bereits verständigt. Simone Everlys Eltern haben die Nachricht erhalten, ebenso wie Tyrell Demonico Browns Schwester, seine Kinder und seine Exfrau.«
»Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell.«
»Ja.«
»Weil wir dafür sorgen.«
»Wir, die Zeitung? Ach Gott, Nikki, sag nicht, dass du plötzlich ein Gewissen hast.«
»Ich möchte behaupten, dass ich schon immer eins hatte.«
»Um Nachrichten zu verbreiten, muss man unvoreingenommen sein. Und zwar absolut«, sagte
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